„Das sind keine Notstopfen“

Den Vorwurf, Freiwilligen-Engagement würde den Abbau des Sozialstaates beschleunigen, kann die neue Leiterin der Bremer Freiwilligenagentur nicht mehr hören. Warum soll jemand, der gerne arbeitet, daran gehindert werden, fragt Birgitt Pfeiffer

BIRGITT PFEIFFER, 38, leitet ab 1. September die Freiwilligen-Agentur Bremen. Bisher war die Sozialarbeiterin in Delmenhorst in der Stadtteilarbeit tätig.

INTERVIEW EIKEN BRUHN

taz: Frau Pfeiffer, Nutzen Parteien Ihre Dienste, um Nachwuchs zu finden?

Birgitt Pfeiffer: Leider nein, aber in den Niederlanden lassen sich die Sozialdemokraten von einem Freiwilligenmanager beraten. Sie haben erkannt, dass sie eine Freiwilligenorganisation sind.

In welche Bereiche wollen besonders viele?

Das geht quer durch den Gemüsegarten: Soziales, Kultur, Umweltschutz, Sport, Ältere, Kinder und Jugend oder Gruppen wie Amnesty International.

Und was will niemand?

Viele wollen nicht für eine Organisation arbeiten, wenn die von ihnen erwartet, Mitglied zu werden. Der neue Typ „Freiwilliger“ möchte sich für eine Sache engagieren, nicht für einen Verband.

Wer ist der neue Typ „Freiwilliger“? Nicht mehr die gelangweilte Professorengattin?

Die gibt es noch, aber es findet vor allem eine Verschiebung der Motive statt. Früher hatte es mehr mit Pflichtbewusstsein oder einem christlichen Selbstverständnis zu tun, jetzt geht es mehr um den Wunsch, etwas zu gestalten und das Bedürfnis, etwas dazulernen zu wollen.

Für den Job?

Oder um sich privat zu entwickeln. Es gibt aber einen Anstieg des Engagements unter Arbeitslosen. Aber dabei geht es weniger um bestimmte Fähigkeiten für ein Berufsfeld, sondern sie wollen in Kontakt und in sinnvoller Beschäftigung bleiben.

Stehen Sie damit nicht in Konkurrenz zu Ein-Euro-Jobs?

Mir hat gerade eine Organisation gesagt, „in dem Bereich können wir keine Freiwilligen gebrauchen, da haben wir schon so viele Injobber“. Oder es arbeitet jemand freiwillig mit und wird dann gefragt, ob sie nicht einen Injob machen möchte. Vielleicht, weil man sich in Deutschland nicht vorstellen kann, dass Leute sich einfach gerne engagieren. Auch ohne Bezahlung.

Sind nicht die Konflikte vorprogrammiert, wenn die einen sagen, „ich mach das hier für mich“ und die anderen vom Amt gezwungen werden?

Ja, klar. Aber das ist unabhängig davon, ob jemand einen Euro oder ein richtiges Gehalt bekommt. Beispielsweise in der Altenhilfe, wo viele Freiwillige arbeiten. Die können dort das tun, was die bezahlten Kräfte auch gerne machen würden, sich nämlich Zeit für die Alten nehmen und sie nicht nur versorgen.

Aber es geht doch auch darum, wie qualifiziert jemand für einen Job ist.

Natürlich darf es nicht passieren, dass etwa eine Freiwillige zum Vorlesen in eine Familie geschickt wird, wenn eigentlich eine professionelle Betreuung gefragt ist. Gerade nach dem Fall Kevin haben sich viele Leute gemeldet, die solchen Kindern helfen wollten. Man muss aber auch bedenken, dass eine Arbeit nicht unbedingt besser gemacht wird, nur weil sie bezahlt wird.

Zeitweise, die Freiwilligen-Agentur Bremen, wurde 1992 gegründet – als weiteres Standbein des Sozialen Friedensdienstes Bremen, der Zivildienstleistende vermittelt und betreut. Die Agentur, in der nur eine Handvoll bezahlter Kräfte arbeiten, berät sowohl Organisationen, die Freiwillige suchen – als auch diejenigen, die sich engagieren möchten. Eine Suchhilfe bietet außerdem die Internet-Homepage des mit öffentlichen Mitteln geförderten Vereins (www.zeitweise.de). Darüber hinaus betreibt sie eigene Projekte. Vergleichbare Agenturen gibt es im Norden sowohl in Großstädten als auch kleineren Orten. EIB

Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, die Förderung des freiwilligen Engagements beschleunige den Abbau des Sozialstaats?

Das ist so eine typisch deutsche Debatte. Ich denke dabei an die siebziger und achtziger Jahre, als sich viele in der Umweltschutz- oder der Frauenbewegung engagierten. Das war auch freiwillig, aber niemand stört sich daran, weil es im Nachhinein als demokratisch notwendige Arbeit gewertet wird. Heute sagen Menschen, sie wollen sich selbstverantwortlich, also ohne Eingriffe des Staates, an der Lösung von Problemen beteiligen, die unsere Gesellschaft aufwirft. Wenn die sich dabei nicht als Notstopfen sehen: Wo ist das Problem?

Weil sie dazu gezwungen werden? Etwa wenn in einer Schule nur Mittagessen ausgegeben werden kann, wenn Eltern es kochen und ausgeben?

Aber ich habe doch die Freiheit zu entscheiden, ob ich eine Elterninitiative gründe und mit der Bildungssenatorin darum kämpfe, dass sie das Essen anbietet oder ob ich selbst koche. Oder die Ganztagsschulen: Soll ich der Frau, die umsonst eine Hausaufgabenhilfe anbieten will, das untersagen, weil ich der Ansicht bin, dass der Staat so etwas eigentlich leisten müsste? Die Tatsache, dass freiwilliges Engagement stattfindet, ersetzt doch nicht die politische Debatte darum, was der Staat noch finanzieren soll! In Bremen haben Freiwillige aus der Freiwilligen-Agentur nach der Pisa-Pleite ein Projekt entwickelt, bei dem Leute in die Schulen gehen und in einer Eins-zu-Eins-Betreuung Kindern beim Lesen lernen helfen. Selbst wenn die Bildungssenatorin in jede Klasse drei Lehrer schicken würde, könnten sie das nicht leisten.

Sie argumentieren aus Sicht der Freiwilligen.

Das ist mein Job. Im Einzelfall kann man selbstverständlich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, wenn Bürger ein städtisches Schwimmbad in Eigenregie betreiben oder wenn sie in entlegenen Gebieten eine Buslinie betrieben. Wir hatten in Bremen eine Debatte, ob wir ein Projekt in Kindertagesstätten machen können, weil die zu der Zeit eine zweite Kraft in den Gruppen forderten und Angst hatten, die könnte ihnen mit dem Verweis auf die Freiwilligen verwehrt werden. Heute läuft das unter Luxus, wenn Männer zum Fußballspielen kommen und eine Frau Englisch-Kurse gibt.