Baustelle Staffelei

„Eine Unterbrechung des Alltags, eine Bühne zum Innehalten und doch nur eine Baustelle“: In einem U-Bahn-Schacht porträtiert Caroline von Grone zwei Wochen lang Passanten. Zu sehen sind die Bilder ab September im Hamburger Kunstverein

„Was ich hier mache, ist geistige Müllabfuhr, man konzentriert sich und schafft was weg“

VON KATRIN JÄGER

Die U-Bahn Station „Steinstraße“, nahe dem Hamburger Hauptbahnhof. Über dem Schacht donnert der Verkehrslärm auf dem vielbefahrenen Klosterwall, es riecht nach Abgasen, Tauben fallen durch den Osteingang in den Tunnel ein, durchqueren ihn im Tiefflug, um am Aufgang im Westen wieder hochzusteigen. Ausgerechnet hier hat Caroline von Grone ihre Staffelei aufgebaut. Neben ihr liegen auf einem Einkaufswagen vom Baumarkt ihre Farbtuben und Pinsel, vor ihr, an dem dreckigen, mit Graffiti besprühten Pfeiler lehnt ihr Modell, eine schlanke, junge Frau mit Bubikopf.

Caroline von Grone setzt hier und da einen Reflex, nimmt Abstand, legt den Kopf schief, zieht einen weiteren Pinselstrich. Eine Szene, fast wie aus dem Bilderbuch der impressionistischen Pleinairmalerei aus dem 19. Jahrhundert. Doch während die Freilichtmaler von damals die in hübsch angelegten Gärten flanierenden Damen und Herren der gehobenen Schichten ins Visier nahmen, zieht es Caroline von Grone in den Untergrund.

Bereits Mitte der neunziger Jahre malte die Kieler Künstlerin die Obdachlosen in den Stuttgarter U-Bahn-Schächten, am Hamburger Sternschanzenbahnhof hat sie ihre Staffelei aufgebaut, malte „Ichs“ am Potsdamer Platz in Berlin. „Temporäre öffentliche Ateliers“ nennt sie ihre Arbeitsplätze. Ihren derzeitigen im Hamburger U-Bahn-Schacht Steinstraße markieren zwei Verkehrshütchen, jeweils drei Meter vor und hinter der Staffelei. Die Passanten akzeptieren diese Grenze. Keiner tritt ungebeten in die innere Hütchenregion. Doch verweilen selbst dynamische Radfahrer einen kurzen Moment an deren Rand und kommentieren die Szene mit „ah“, „hm“ oder „toll“.

Caroline von Grones öffentliches Atelier unter dem donnernden Straßenverkehr verdichtet die Atmosphäre zu einer meditativen Situation, die Künstlerin selbst beschreibt sie als „eine Unterbrechung des Alltags, eine Bühne zum Innehalten und doch nur eine Baustelle“. Passend dazu ihre Arbeitskleidung: knallorange Müllmann-Uniform mit Reflektorweste, dazu eine kaminrote Mütze, Latexhandschuhe – ein Aufzug mit Symbolcharakter. „Ich will damit signalisieren, dass Kunst eine ganz normale Arbeit ist wie Müllabfuhr eben auch. Was ich hier mache, ist quasi geistige Müllabfuhr, man konzentriert sich und schafft was weg“, sagt die Künstlerin mit unüberhörbarer Selbstironie.

Zwei Wochen lang wird Caroline von Grone hier unten Passantenköpfe malen. Außerdem auf zwei großen Leinwänden unterschiedliche Perspektiven des U-Bahn-Schachtes. Die gekachelten Wände erscheinen in einem dunklen, glänzenden Blau, sie reflektieren die Vorbeiradelnden, die Pendler, die mit Plastiktüten beladenen Einkäufer, die Obdachlosen in ihren Schlafsäcken. Die gelbe Deckenlampe taucht die Szene in ein warmes Licht. Die ästhetische Stilisierung verleiht diesem ungemütlichen Ort eine kühle Kuscheligkeit, die Treppenaufgänge erscheinen fast wie die Freitreppen aus den alten Hollywood-Streifen. Unübersehbar die Bezüge zu den abstrakten Reflexarbeiten von Agnes Martin und dem farbintensiven Realismus von Edward Hopper.

Inzwischen ist das Porträt der jungen Frau mit dem Bubikopf fertig. Am rückwärtigen Verkehrshütchen wartet bereits das nächste Modell. Roxanna Rayes möchte ein Foto ihres Porträts als Erinnerung an Deutschland mit nach Hause nehmen. Die Besucherin aus Ecuador hat die Künstlerin im U-Bahn-Schacht gefragt, ob sie sie malen würde. „So ist das immer“, lächelt Caroline von Grone. „Die Passanten kommen auf mich zu. Ich porträtiere aber nicht alle, nur die, deren Gesicht ich spannend finde.“ Frau Rayes hat Glück. Sie darf in die innere Hütchenregion eintreten und sich am mit Graffiti beschmierten Pfeiler postieren.

Caroline von Grone zeigt ihre Arbeiten aus dem U-Bahn Schacht ab dem 15. 9. auf der Gruppenausstellung „Gesellschaftsbilder. Zeitgenössische Malerei“ im Hamburger Kunstverein