Die vier Ringe des Klangs

Klangkunst in eindrucksvoller Architektur: Die Hörgalerie Singuhr bespielt seit Juni den Wasserspeicher in Prenzlauer Berg. Aktuell mit zwei Installationen von Edwin van der Heide und einer Arbeit von Studenten Christina Kubischs

Die vereinzelten Rufe der Besucher wirken wie die Lebenszeichen Verschollener

„Cool“, grinst der junge Mann, der sich ganz sicher noch nie mit Klangkunst auseinandergesetzt hat, während er aus dem düsteren Installationsraum ins Freie tritt. Vor dem Eingang streiten sich zwei kleine Jungen. Der eine möchte noch mal rein, um sich im Labyrinth der Installation zu verlieren; der andere scheint sich ein wenig vor deren morbidem Ambiente zu fürchten.

Es gibt Räume, die einen körperlich vereinnahmen. Räume, denen man sich bedingungslos ausliefert. Der Große Wasserspeicher in Prenzlauer Berg gehört dazu. Vier konzentrische Kreise schneiden die schmucklosen geziegelten Wände in den runden Saal. In den gekrümmten, monotonen Fluchten verliert man schnell die Orientierung. Auch das verzögerte, aber klare und helle Echo trägt zur Störung der Wahrnehmung bei.

Im Juni hat das Berliner Klangkunstkuratorium Singuhr seinen Ausstellungsort von der Parochialkirche am Alexanderplatz in die Räume dieses Wasserspeichers verlegt. Nachdem im Juni bereits eine Arbeit des kanadischen Klangkünstlers Robin Minard zu hören war, hat sich jetzt Edwin van der Heide des Saals angenommen.

Es ist schnell klar, dass, wer hier ausstellt, schon viel gewonnen hat. Und dass er ein Problem hat. Gewonnen hat er ein Publikum, das architektonisch beeindruckt und – im besten Sinne des Wortes – verunsichert ist. Das Problem: Wie stemmt man sich als Künstler gegen einen Raum, der die Wahrnehmung derart vereinnahmt?

Robin Minard hatte sich mit seinem Stück „Vice Versa“ für ein kühles, postindustrielles Design entschieden. Er hatte die gelben Ziegel in kühles, gedämpftes Licht getaucht, hatte die Gänge mit Lautsprechern gesäumt und die vertrockneten Wasseradern mit dem ätherischen Zittern einer monströsen Stahlsaite, die er ins Zentrum des Raums gehängt hatte, geflutet. Eine erhabene Arbeit, zweifellos. Aber eben auch eine, die sich ihres Triumphs über den Schmutz und den Gestank der industriellen Ära allzu sicher ist, die sich sauber und steril über jene Zeit erhebt, als ein solcher Speicher noch durchspült werden musste, um die Stadtbevölkerung mit Wasser zu versorgen.

Ganz anders die aktuelle Arbeit von Edwin van der Heide. Der holländische Klangkünstler setzt ganz auf das Unbehagen, das von diesem Raum ausgeht. Seine Installation „The Speed of Sound“ ist dunkel. Die umherirrenden Besucher leuchten die Wände mit flackernden Taschenlampen aus. Ein düsterer Klang rollt durch das Gewölbe, ja er scheint einen vor sich herzutreiben. Ein schöneren Schauder als den dieser Geisterbahn der Abstraktion hat man lange nicht durchlebt.

Berühmt geworden ist Edwin van der Heide mit Apparaturen, die körperliche Bewegungen in Klang übersetzen. Als Mitglied der „Sensorband“ sind seine Instrumente Datenhandschuhe und Ultraschallsensoren. Auch in dieser Installation arbeitet van der Heide mit einer interaktiven Schnittstelle – allerdings einer akustischen. Das Rufen und Klatschen der Besucher wird, zeitverzögert, in das Klangbild integriert. Das elektroakustisch getrübte Echo ist einer der wenigen Geborgenheit stiftenden Aspekte des Stücks – als eine verlässliche Bestätigung, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Die vereinzelten Rufe der Besucher hingegen, die das Echo auslösen, wirken eher wie die Lebenszeichen Verschollener, was den Grusel noch ein wenig erhöht.

Im vierten, äußeren Ring des Großen Wasserspeichers, der aus kleinen Ausbuchtungen besteht, hat van der Heide noch eine zweite Installation eingenistet: „Sound Modulated Light“. Erst wer sich bei der Aufsicht eine prähistorisch anmutende Metallkiste mit einem Lichtsensor und einem Kopfhörer besorgt, wird Zeuge dieses akustisch modulierten Lichtes. Jede Glühbirne flackert mit der Frequenz des Stromnetzes, also fünfzigmal in der Sekunde. Sehen kann man das nicht. Wenn man den optischen Puls allerdings ins Akustische übersetzt, fängt es ganz herrlich an zu rattern. Van der Heide moduliert dieses optische Flackern und versieht es mit Unregelmäßigkeiten, sodass ein regelrechtes Alphabet in Klang verwandelten Lichtes entsteht, das einen über den bloßen Budenzauber hinaus in Atem hält.

Wenn man selbst wieder ins helle Licht der Belforter Straße tritt, versteht man, warum ein in Klangkunst ungeschulter Twen und ein von der Kunst an sich unbeeindruckter kleiner Junge Gefallen an van der Heides Klanginstallationen finden: Die Errungenschaften der elektronischen Musik werden hier derart psychoakustisch instrumentalisiert, dass das Musikalisch-Komponierte daran in den Hintergrund tritt. Adorno hätte das Stück vermutlich nicht gemocht. Wer sich aber über den analytisch-kritischen Anspruch an Kunst hinwegsetzt und bereit ist, sich von der kunstvollen und künstlerischen Manipulation des eigenen Wohlbefindens beeindrucken zu lassen, dem sei ein Besuch im Wasserspeicher ans Herz gelegt.

Neben van der Heides Installationen ist im weniger spektakulären Kleinen Wasserspeicher die allerdings selbst auch weniger spektakuläre Arbeit einer Klasse von Christina Kubisch zu sehen. Die Studenten der wohl berühmtesten deutschen Klangkünstlerin haben einen akustisch wie optisch sorgfältig austarierten „Archipel“ aus Lautsprecherinseln geschaffen, der allerdings an seiner Diskretion zugrunde geht. Die Stimmen, die Unterwassergeräusche und die Alltagsklänge scheinen sich jedenfalls nicht recht zu einem beredten Ganzen fügen zu wollen.

Ob es dem New Yorker Klangkünstler Michael J. Schumacher, der ja mit ähnlichen Mitteln arbeitet, besser gelingt, den Wasserspeicher mit solch heterogenen Klangmaterialien und disparat ausgerichteten Klangquellen zu füllen, wird am 21. September zum Ausklang der Klangkunstsaison zu sehen sein.

BJÖRN GOTTSTEIN

Edwin van der Heide: „The Speed of Sound“/„Sound Modulated Light“ & Klasse Christina Kubisch „Archipel“, Großer & Kleiner Wasserspeicher, Prenzlauer Berg, noch bis zum 23. September, jeweils Mi.–So., 14–20 Uhr