: „Fffflüüüt, flllüüüt!“
Interview mit der multiplen Persönlichkeit Almuthe S. und ihrem Psychiater Dr. Iganz Strobel (Namen von der Redaktion geändert)
VON ALBERT HEFELE
Bekanntlich stehen in der Hitliste psychischer Verknotungen der große Veitstanz und die maligne Logorrhöe ganz oben – in Konkurrenz zu diversen Trugwahrnehmungen („Ich glaube, ich bin eine entzündete Darmzyste …“) und – der Königin des Irreseins: der multiplen Persönlichkeit. Die von ihr Befallenen nennen haufenweise Persönlichkeiten ihr eigen. Mal sind sie Frau, mal sind sie Mann, mal ein Embryo kurz vor der Entbindung. Im Innern einer solchen Persönlichkeit geht es auf jeden Fall hoch her. Hin und wieder kommt auch der belastbarste Behandler an seine eigenen Grenzen.
taz (sonor): Jetzt mal ganz im Ernst, Frau Almuthe, Sie wollen über 241 Persönlichkeiten verfügen?
Almuthe (gradeheraus): Woll.
Dr. Strobel (streng): Bitte in ganzen Sätzen sprechen.
Almuthe (bemüht brummelnd): Jawoll. Zweihunderteinundvierzig – am Stück.
Dr. Strobel (erklärend beiseite flüsternd): Ich muss ihn immer ermahnen.
taz (verwirrt): Ihn?
Dr. Strobel (zischelnd): Ja, den Weihrather Rupert.
taz (baff): Wer bitte ist das?
Dr. Strobel (in Richtung Almuthe nickend): Na sie beziehungsweise er: ein Förster aus dem Niederbayerischen.
taz (schnell schaltend): Aha. Ach so! Der Rupert. Wie geht’s uns denn heute so?
Almuthe (Nase hoch): Aber hallo. Wir haben doch nicht zusammen die Schweine gehütet.
Dr. Strobel (flink): Oh hoppla. Wen haben wir denn da? Sind Sie das, Frau Doktor?
taz (wirr): Frau Doktor?
Dr. Strobel (dezent): Jjaaaa. Frau Doktor Seibold. Ornithologin. Sie kann zwölf verschiedene Vogelstimmen.
Almuthe (Haare in den Nacken schleudernd): Dreizehn, Herr Kollege. Dreizehn. Seit letzter Woche hab ich den Pirol mit aufgenommen.
taz (hohl echoend): … mit aufgenommen …?
Dr. Strobel (nicht wenig stolz): Den Pirol. Respekt. Machen Sie doch mal, Frau Doktor Seibold.
Almuthe (sich zierend): Ich weiß nicht, ich bin ja gar nicht eingepfiffen.
Dr. Strobel (wissend): Sie ziert sich. Immer wenn sie einen neuen hat, ziert sie sich.
taz (matt): Verständlich. Ging mir genauso.
Almuthe (bemüht): Ffffft, ffffft, ffflüüttt, fffflüüttt...
Dr. Strobel (ernst): Na, das ist doch schon ganz schön. Nur weiter, Frau Doktor Seibold, pfeifen, immer pfeifen.
Almuthe (roh): Pfeifen? I hob no nia net pfiff’n.
Dr. Strobel (enttäuscht): Rupert. Du schon wieder. Geh doch bitte aus der Leitung.
Almuthe (ruppig): Z’erst soll ich pfeiff’n und jetzt aus der Leitung …
Dr. Strobel (energisch): Ich fordere Sie hiermit auf, die Persönlichkeit für Frau Doktor Seibold freizugeben.
taz (solidarisch): Aber dalli.
Almuthe (eine Watschen anbietend): Du hoitst dei Mai!
Dr. Strobel (Weihrather mannhaft blockend): Vorsicht. Er ist manchmal arg aufbrausend.
Almuthe (plötzlich säuselnd): Lieber Herr Doktor, wenn Sie so mannhaft sind, dann wird mir ganz schwach …
Dr. Strobel (abwedelnd): Siglinde. Oh je, das passt jetzt aber gar nicht.
Almuthe (schwer erotisch): Bei mir passt’s immer, du Schlimmer …
Dr. Strobel (bedrängt): Äh. Nicht jetzt. Du siehst doch, ich habe Besuch.
Almuthe (lasziv schmatzend): Stroobi, was ist mit dir los, in letzter Zeit bist du immer so … kühl …
Dr. Strobel (konzentriert): Ich bin nicht ihr Strobi. Ich muss Sie doch bitten, lassen Sie das!
Almuthe (mit gespitzen Lippen): Fffflüüüt, flllüüüt. Jetzt hab ich’s!
taz (schweissgebadet): Gott sei Dank, Frau Doktor!
Almuthe (dumpf): Naaa, Weirather Rupert der Name. Ich sollt doch pfeif’n … hot der Herr Dokta g’sagt.
Dr. Strobel (alarmiert): Ist ja gut, Rupert, ist ja gut. Pfeifen, immer pfeifen.
Almuthe (elegant): Der Pirol’sche Triller ist zweifellos die Krone der ornithologischen Lautbildung.
taz (schon mal zusammenpackend): Zweifellos …
Almuthe (haltlos): Strooobiii!!!!
Dr. Strobel (um Fassung ringend): Ich befürchte, mir entgleitet die Situation irgendwie …
taz (das Weite suchend): Besser hätten wir es auch nicht sagen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen