Die durchökonomisierte Stadt

Das Haus der Kulturen der Welt wirft mit dem „New York Festival“ einen kritischen Blick auf die Moderne. Musik, Film und Kunst aus New York sollen aber auch die Frage beantworten helfen, ob es „den Westen“ gibt, sagt Intendant Bernd Scherer

Wenn am Donnerstag das Haus der Kulturen der Welt nach einjähriger Sanierung wieder eröffnet, gilt das Programm New York. Bernd Scherer, der Intendant, erzählt im Interview, warum das Festival mehr ist als eine Hommage an das Haus, das vor 50 Jahren Berlin von den USA geschenkt wurde. Am Donnerstag geht es um 19 Uhr los mit der Ausstellung „New York – States of Mind“, mit Künstlern wie Marcel Duchamps, Hans Haacke, Gordon Matta-Clark, Carolee Schneemann und Jon Kessler. Am Freitag tritt das Spanish Harlem Ochestra mit Salsa, Cha-Cha-Cha und Latin Swing auf, am Samstag folgen Jazz und Rock ’n’ Roll zur Erinnerung an die Zeit von Milchbar und Nierentisch. Das umfangreiche und spannende Programm ist unter www.hkw.de zu finden.

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Herr Scherer, am Donnerstag eröffnet das „New York Festival“ im Haus der Kulturen der Welt. Wie kam es zu diesem Blick in die USA?

Bernd Scherer: Wir feiern ja gleichzeitig 50 Jahre Kongresshalle, die ein Symbol für die transatlantischen Beziehungen war. Sie war ein Geschenk der Amerikaner an Westberlin im Kontext der Internationalen Bauausstellung 1957. Für uns war wichtig, bei einem Neuanfang auf die Geschichte des Hauses Bezug zu nehmen. Interessant wurde dann, dass man sich, auch aufgrund der Diskussionen in den letzten Jahren, aus europäischer und amerikanischer Sicht die Frage stellen kann: Gehören wir denn wirklich zur selben Kultur? Gibt es nicht schon große Unterschiede in dem, was oft als homogene Einheit, nämlich als der Westen, angesehen wird? Die Diskussionen über Guantánamo und Abu Ghraib haben gezeigt, dass man zumindest die Frage stellen kann, ob es noch den Wertekonsens gibt, von dem man eigentlich ausgeht.

War das Geschenk der Kongresshalle auch eine kulturpolitische Entwicklungshilfe?

Die Sprache des Gebäudes ist sehr klar. Das war ein politisches Symbol – der Krieg war gerade zu Ende, in Ostberlin wurde die Stalinallee gebaut. Die gesamte Internationale Bauausstellung 1957 war ein erklärtes Gegenprojekt gegen die Entwicklung im Osten. Die Kongresshalle sollte ein Symbol westlicher Demokratie, Freiheit und Offenheit darstellen. 1957 bestand die Mauer noch nicht: Wenn man mit der S-Bahn von der Friedrichstraße aus in den Westen fuhr, war die Kongresshalle das erste Gebäude, das man sehen konnte. Der Architekt Hugh Stubbins hat es bewusst auf ein Podest gesetzt, damit es von weitem sichtbar war.

Rekurriert das Festival-Programm auch auf das New York der Fünfzigerjahre?

Wir zeigen Entwicklungslinien auf, deren Grundgedanken aus dieser Zeit stammen. Eine zentrale Frage war damals, und das gilt bis heute, wie ökonomische Prozesse und technologische Entwicklungen die Kultur beeinflussen. New York ist im Zentrum der Musikindustrie, symbolisch dafür steht der Broadway. Aufgrund der ökonomischen Entwicklungen der Stadt werden die Bereiche, in denen Künstler arbeiten können, aber immer kleiner, weil sie es sich nicht mehr leisten können, dort zu wohnen. Was es bedeuten könnte, eine völlig durchökonomisierte Stadt zu haben, kann man zumindest teilweise an New York ablesen.

Zum Haus der Kulturen der Welt gehört der Anspruch, den Blick an die Peripherie zu lenken. Von New York denkt man, es stehe im Zentrum. Ist das ein paradigmatischer Wechsel?

Wir zeigen erstens ein sehr komplexes Programm, das aber nicht kommerziell ist. Die Perspektiven, aus denen wir auf diese Stadt blicken, werden sonst in dieser Form nicht diskutiert. Zweitens hat sich das gesamte Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum doch sehr verschoben seit der Gründung des Hauses der Kulturen der Welt 1987. Anfang der 90er-Jahre, da war das Haus Randlage von Westberlin, und auch der Gegenstand, die nichteuropäische Welt, wurde zwar als interessant, aber nicht als relevant für unsere eigene Gesellschaft angesehen. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass Entwicklungen allgemein nicht mehr verstehbar sind, wenn man sie nicht in internationalen Dimensionen denkt. Es wird unsere zentrale Aufgabe sein, aufzuzeigen, wie internationale Entwicklungen unser eigenes Land betreffen.

Das „New York Festival“ will auch die Einheit des westlichen Kulturbegriffs in Frage stellen. Wie macht man das?

Wir haben eine ganze Reihe Performancekünstler aus New York eingeladen. Dabei wurde deutlich, dass es dort eine Form von politischer Performance gibt, wie sie hier kaum existiert: massiv, sehr politisch, auf der Suche nach Interaktion mit den Menschen. Ein Beispiel ist Reverend Billy, der die Church of „Stop consuming now“ vertritt, damit auf die Straße geht und predigt.

Wie entstand der Begriff der „transatlantischen Moderne“, den das Programm vorstellt?

Seit einigen Jahren wird ja diskutiert, dass es nicht nur eine Moderne gibt, sondern viele Modernen. Dabei hat das Haus der Kulturen der Welt ja auch eine große Rolle gespielt. Vor diesem Hintergrund haben wir den Begriff „transatlantische Moderne“ entwickelt, auch um zu relativieren: Was wir bisher als Moderne verstanden haben, ist nicht per se ein universelles Phänomen, sondern ein historisch und geografisch lokalisierbares Phänomen.

Der neue Kurator, Detlef Diederichsen, ist bekannt für seine Kompetenz in Poptheorie. Ist mit seiner Berufung die Ansage verbunden, dass der alte Weltmusikbegriff überholt ist?

Das ist eigentlich eine doppelte Ansage. Mit dem New-York-Programm wollen wir deutlich machen, dass die alte Weltordnung nicht mehr so gilt und dass das Haus beansprucht, aus der Perspektive seiner bisherigen Zuständigkeiten für nichteuropäische Kulturen auch im Zentrum mitzureden. Dem entspricht im Bereich der Musik meine Überlegung, dass in vielen Gesellschaften die Unterscheidung zwischen U- und E-Kultur nicht existiert. Wenn man das Haus strategisch als eine Institution begreifen will, die im innerdeutschen Diskurs vor dem Hintergrund anderer Gesellschaften interveniert, dann muss es ein Ansatz sein, ebendiese Unterscheidung in Frage zu stellen. Ich denke, dass man das sehr überzeugend im Bereich der Musik kann. Das war ein Argument für jemand wie Detlef Diederichsen. Gleichwohl soll das Haus nicht zu einer Musikagentur werden, die einkauft, was gerade in Europa auf Tour ist. Diederichsen hat kundgetan, und das ist auch mein Ansatz, dass diese schwammige, oberflächliche Begriffsbildung „Weltmusik“, die eigentlich eine kommerzielle Verkaufsstrategie war, nicht adäquat ist und nicht wirklich weiterführend.