Glimpfliches Ende einer Geiselnahme

Die entführte deutsche Entwicklungshelferin ist wieder auf freiem Fuß. Bundesaußenminister Steinmeier lobt afghanische Behörden für schnellen Fahndungserfolg und bekräftigt die Fortsetzung von militärischem und zivilem Engagement

VON ANETT KELLER

Christiane M. verdankt ihre Freiheit möglicherweise der Dummheit ihrer Entführer. Angeblich soll der Bote, der am Sonntag die Videobotschaft ihrer Entführer an den afghanischen Sender Tolo TV übergeben hatte, schnurstracks zu dem Haus zurückgekehrt sein, in dem Christiane M. versteckt wurde. In der Nacht zum Montag stürmten Polizisten das Gebäude und befreiten die 31-jährige Deutsche. Die schwangere Helferin werde in wenigen Tagen zurück in Deutschland erwartet, teilte gestern Matthias Floreck, Geschäftsführer der christlichen Hilfsorganisation ora international, mit, deren Kabuler Büro die Entführte leitet. Christiane M. habe die Geiselnahme gut überstanden und sei sehr gefasst, so Floreck. Sie war am Samstag vor den Augen ihres Ehemannes von Bewaffneten aus einem Schnellimbiss in Kabul gezerrt worden.

Kurz nach Mitternacht wurde die Deutsche gestern aus den Händen ihrer Entführer befreit. Nach Angaben des Innenministeriums waren 300 Polizisten an dem Einsatz beteiligt. Vier Kidnapper, die einer kriminellen Bande angehörten, seien festgenommen worden. „Das Motiv der Entführung war hauptsächlich eine Lösegeldforderung“, so ein Ministeriumssprecher. Die Entführer hätten „etwa eine Million Dollar“ gefordert. In einem Video hatten die Entführer am Sonntag auch die Freilassung „unschuldiger Gefangener“ gefordert.

Auch einen weiteren Erfolg konnten die Behörden gestern vermelden. Wie das Innenministerium in Kabul mitteilte, wurde bereits in der vergangenen Woche der mutmaßliche Drahtzieher des Mordes an zwei deutschen Journalisten vom Oktober 2006 festgenommen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erleichtert über den glimpflichen Ausgang der jüngsten Geiselnahme. Er danke den afghanischen Behörden für die gute Zusammenarbeit, die zur schnellen Befreiung der Deutschen geführt habe, so Steinmeier. Er dankte auch der norwegischen Sicherheitspräsenz in Kabul, die bei der Aktion geholfen habe. Nun bleibe es die Aufgabe, an der Freilassung der zweiten Geisel zu arbeiten. Auf Fragen nach neuen Entwicklung in dieser Frage, sagte er: „Es gibt keinen Stand, den ich der Öffentlichkeit mitzuteilen hätte.“ Der Bauingenieur Rudolf B. war vor einem Monat in der Provinz Wardak verschleppt worden. Steinmeier erneuerte die Forderung, Deutschland müsse sich stärker als bisher an der Ausbildung der afghanischen Polizei und Armee beteiligen. Die Fortsetzung der Bundeswehr-Mandate in Afghanistan werde auch Thema der Gespräche bei der Klausur des Bundeskabinetts auf Schloss Meseberg sein.

Wie gestern aus Regierungskreisen verlautete, plant die Bundesregierung, über alle drei bestehenden Afghanistan-Mandate für die Bundeswehr zugleich abstimmen zu lassen. In der zweiten Oktoberwoche soll demnach das Parlament sowohl über die Beteiligung an der internationale Schutztruppe Isaf als auch an der US-geführten Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“ (OEF) und über den Tornado-Einsatz entscheiden. Die Mandate für Isaf und die Tornados laufen Mitte Oktober aus, das OEF-Mandat Mitte November. Offiziell dürfte die zeitliche Zusammenlegung der Abstimmung damit begründet werden, dass die Debatte zusammenhängend geführt werden solle. Inoffiziell hieß es jedoch, die SPD wolle wegen des erheblichen Widerstandes in den eigenen Reihen die Entscheidung vor ihrem Bundesparteitag Ende Oktober herbeiführen. Kritik gibt es vor allem an der hohen Anzahl ziviler Opfern bei OEF-Einsätzen.

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