: Steppe und Stadt
Wang Quan’ans Film „Tuyas Hochzeit“ erzählt von Gefühlen, Sehnsüchten und wirtschaftlicher Not in der spröden Landschaft der Mongolei
VON BIRGIT GLOMBITZA
Bilder aus Himmel und Steppe. Dazwischen Schafe und eine energische Frau auf einem Pferd, deren Alter und Schönheit sich durch all die schweren Stofflagen ihrer Arbeitskleidung hindurch nur erahnen lassen. Tuya, die Hirtin aus der Inneren Mongolei, hält alles zusammen. Die Herde, Erspartes, Vorräte, sogar die Familie, um die sie sich allein zu kümmern hat. Um Kind und Mann Bater, der seit seinem Unfall auf der Suche nach Wasser Invalide ist. Und manchmal schält sie noch den depressiven Nachbarn von der Straße, wenn der wieder mal sturzbetrunken von seinem Motorrad gefallen ist.
Tuyas Leben ist zu hart und schwierig für einen alleine. Sie soll sich scheiden lassen, empfiehlt die Schwägerin, einen neuen intakten Mann nehmen, der seinen Verpflichtungen als Ernährer nachkommen kann. Tuya will die Versorgungsmisere auf ihre Weise lösen. Ein Ehemann muss her, der den geliebten Bater mitversorgt. Eine pragmatische Variante des ehelichen Zusammenlebens. Die einzige, die für die eigenwillige Tuya infrage kommt. Und so lässt sie die Bewerber einen nach dem anderen anreisen, überprüft ihre Heiratsmotive und -qualitäten und lässt sich auch vom Prunk reich gewordener Schulkameraden nicht zu einem Leben ohne Bater verführen.
Dass sie so wählerisch ist, ist eine Eigenschaft, die die Nomadin mit einer Märchenprinzessin gemein hat, die das Heer der Heiratswilligen schwierige Rätsel lösen lässt und unglaubliche Mutproben einfordert. Und natürlich geht es auch in „Tuyas Hochzeit“ von Wang Quan’an mit seiner Lust an satirischen Zuspitzungen um Mut, Experimentierfreude und die Utopie unkonventionellen Zusammenlebens von Geliebtem und Gebrauchtem, von Tradition und Moderne. Und nicht zufällig erinnert die wunderbare Hauptdarstellerin Yu Nan an die frühe Gong Li, die in ihren ersten großen Leinwandstoffen auszog, ein ganzes Dorf, eine ganze Hierarchie mitsamt der Traditionskorsage umzukrempeln.
Bereits in seinem Filmdebüt „Yue Shi“ („Mondfinsternis“, 2002) untersucht Wang den Wandel der tradierten Familienstrukturen und das sich verändernde Rollenspiel zwischen den Geschlechtern. Auch sein zweiter Film „Jinghze“ („Die Geschichte von Ermei“, 2004) stellt eine selbstbewusste Frau in den Mittelpunkt, die heiratet, weil ihre Familie in diesem pragmatischen Tauschhandel das Brautgeld so nötig hat.
Dass der diesjährige Berlinale-Sieger „Tuyas Hochzeit“ seinen Stoff in der ideologisch gänzlich unvereinnahmten und damit politisch „unschuldigen“ mongolischen Steppe ansiedelt, wird zumeist als Ausweichmanöver vor den chinesischen Zensoren gedeutet. Doch die Kamera von Lutz Reitmeister scheint für diese Kulissenwahl mehr als dankbar. So saugt sie die spröde Schönheit der menschenleeren Landschaften förmlich auf. Sie genießt den Wechsel zwischen der weißen Morgensonne, die eine Tee kochende Tuya durch das Küchenfenster begrüßt, und dem in gelben Streifen über die Steppe geschickten Licht des späten Nachmittags. Sie spielt mit den komplementären Farben der türkis- und pinkfarbenen Kopftücher, die Tuyas inneren Widerstreit leuchtend nach außen tragen, und mit den dämpfenden Mischtönen ihrer Mäntel, die sich so dick und kastig um die schöne Frau legen, dass sie die Konturen einer kubofuturistischen Figur mit nicht näher definiertem Geschlecht annimmt.
Bei aller Farbdramaturgie und gelegentlicher Kostümpracht hat dies doch nichts mit Folklore zu tun, sondern mit einer Erzählhaltung, nach der die Tradition und Gebräuche der nomadischen Kultur durchaus gegen die Einflussnahmen der Moderne auftrumpfen können. Schließlich hat der Mercedes des protzenden Verehrers seine Schwierigkeiten bei der Fahrt durch die Steppe. Das Vehikel des Nachbarn ist ebenfalls alles andere als ein verlässliches Fortbewegungsmittel auf dem Land. Und richtig klein, grau und verloren sehen die Menschen aus Tuyas Leben bezeichnenderweise nicht in der Steppe und vor deren Gebirgszügen aus, sondern erst in der Stadt, wenn sie kurz davor sind, ihre Ideale von Liebe, Treue und Partnerschaft zu verraten.
Das wunderbar minimalistische Spiel der Heldin, die es mit ihrer auf eine bloße Ahnung herunterdosierten Regung problemlos mit der stoischen Mine eines Robert Mitchum aufnehmen könnte, die Einfachheit der übrigen erzählerischen Mittel und die Rückkehr zu alltäglichen, unspektakulären Geschichten scheint die jüngere chinesische Regiegeneration zu einen. Darin mag sich eine Distanz zum Kino der Väter, zu den Veteranen der legendären fünften Generation ausdrücken. Vor allem zu dem späteren Eskapismus seiner ehemaligen Meister, wie Zhang Yimou, und Chen Kaige, in kunstgewerblichen Historienspektakeln.
So wirkt die Heldin Tuya vor der Folie der ästhetischen Reduktionen nur umso sturer und hartnäckiger, wenn sie sich gegen alle vordergründige Vernunft gegen den einbrechenden Kapitalismus und dessen neue Werteordnung stemmt. Und wenn wir sie das erste Mal überhaupt weinen sehen, ist das auf ihrer zweiten Hochzeit, als sie spürt, dass die liberale Großzügigkeit ihres Mannes seiner nun doch aufkochenden Eifersucht nicht standhält, dass ein harmonisches Lebenskonzept zu dritt nur wieder weitere Lügen mit sich bringt und die Ökonomie der Beziehungen und Gefühle von der eigenen Sehnsucht nun einmal nichts versteht.
„Tuyas Hochzeit“. Regie: Wang Quan’an. Mit Yu Nan, Bater, Baolier u. a. VR China 2006, 96 Min.
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