Komfortabler Notstand

STUDENTENSCHWEMME Die Universität Kiel verbreitet die Kunde von einer drohenden Wohnungsnot für Studenten. Doch gerade jene versuchen, Wohnungsgesellschaften für Problemstadtteile anzuwerben

Eine weiße Tischdecke ist ausgebreitet, Säfte in Glasflaschen und silbern glänzende Kaffeekannen sind gedeckt. Hinter ihren Namensschildern sitzen Männer in Anzügen. Es herrscht Notstand.

Die Vertreter der Kieler Universität und des schleswig-holsteinischen Studentenwerks haben am Freitag einen Appell an die Presse gerichtet. Sie bitten Eigentümer im Kieler Stadtgebiet und im Umland, freie Wohnungen und Zimmer kostengünstig Studierenden zu überlassen. Als „sichtbares Zeichen der Solidarität“, wie der Vizepräsident der Uni, Frank Kempken sagt.

Denn es herrsche „Wohnungsnot in Kiel“, so stand es zumindest auf der Einladung. Auch der Asta arbeite mit Hochdruck an einer WG-Börse im Internet und an einer Couch-Börse gleich dazu – „für den Notfall“, sagt Sprecher Henning Krause. Die Situation sei angespannt.

Trotzdem fehlt der Leiter des städtischen Amts für Wohnen und Grundsicherung auf dem Podium. Manfred Wagner sei heute im Urlaub, sagt Uni-Sprecher Boris Pawlowski. Wohl kürzlich aufgebrochen, denn am Tag zuvor ging Wagner noch ans Telefon – und war „überrascht von der Überschrift“. Er halte den Wohnungsmarkt für „recht ausgeglichen“. Dabei hatte ein Studentenansturm wegen des Endes der Wehrpflicht und der doppelten Abiturjahrgänge Schlagzeilen gemacht.

„Als ich den Artikel in der Zeitung gelesen habe, habe ich mich gefreut“, sagt Semra Basoglu. Sie ist Projektleiterin des Programms „Soziale Stadt“ in Kiel-Gaarden, gefördert von Bund und Land, um das Gebiet wirtschaftlich und kulturell aufzuwerten. Studenten spielten eine wichtige Rolle in der Stadtentwicklung, sagt sie. Denn in Gaarden leben überdurchschnittlich viele Migranten und Sozialhilfeempfänger. Das ehemalige Arbeiter-Stadtteil ist von der Innenstadt durch die Förde getrennt und hat dort einen ausgesprochen schlechten Ruf.

Die Kieler Wohnungsbaugesellschaft (KWG) hat gerade begonnen, jedem neuen jungen Mieter in einem Gaardener Wohnhaus zum Einzug ein Fahrrad zu schenken. „Bildungsbonus“ heißt die Aktion. Und auch im Stadtteil Mettenhof – dem zweiten Förder-Gebiet Kiels – verwalte die KWG rund 2.000 Wohnungen „mit dem Bus vor der Tür“, wie ihr Geschäftsführer Andreas Morgenstern sagt. Ein Appartement ohne Balkon habe hier schlechte Chancen, Mieter zu finden.

Also können Studenten doch statt einem frei gewordenen Kinderzimmer eine günstige Wohnung in Gaarden oder Mettenhof beziehen? „Das sind beides Stadtteile, die eher im sozialen Brennpunkt stehen“, sagt Uni-Sprecher Ralf Johanning: „Vielen Studierenden ist das einfach zu gefährlich.“

Sein Kollege Pawlowski lenkt ein: Studenten sollten schon in Gaarden wohnen, sagt er, schließlich befindet sich dort der Campus der Kieler Fachhochschule (FH). Die Hochschulen hegten aber den Wunsch nach einem Wohnheim in FH-Nähe. Bezahlt aus Landesmitteln. Denn die rund 1.860 ausgebuchten Wohnheimzimmer der Stadt deckten nur sieben Prozent des Bedarfs ab – der Bundesdurchschnitt liege dagegen bei zwölf Prozent. KRISTIANA LUDWIG