Erstmals seit Staatsgründung wird eine Kirche gebaut

TÜRKEI Während die Syrisch-Orthodoxe Kirche Bedarf hat, gilt dies für andere Gemeinden nicht

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Erstmals seit Gründung der Republik 1923 soll in der Türkei eine neue Kirche gebaut werden. Dabei handelt es sich um eine Kirche für die syrisch-orthodoxe Gemeinde, die im Stadtteil Yesilköy, unweit des Atatürk-Flughafens, entstehen soll. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verkündete diese Entscheidung während eines Treffens mit allen Oberhäuptern nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften, bei dem der Regierungschef sich über die Lage der Christen und Juden in der Türkei informierte.

Einer der Hauptgründe, warum in der Türkei so lange keine neue Kirche gebaut wurde, ist nicht ein Verbot, sondern der mangelnde Bedarf an neuen Gotteshäusern. Vor allem für die beiden ehemals größten christlichen Gemeinden, die Griechisch-Orthodoxe Kirche und die orthodoxen Armenier, gibt es weit mehr Gotteshäuser, als diese füllen können. Denn von den Christen, die im Osmanischen Reich noch ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, sind nicht mehr viele übrig geblieben. Der größte Teil der Armenier wurde 1915 ermordet oder vertrieben und die meisten griechischen Christen mussten die Türkei im Rahmen eines Bevölkerungsaustauschs 1923 verlassen.

Das jetzt für die syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul eine neue Kirche gebaut wird, hat mit der Binnenmigration dieser Konfessionsgruppe zu tun. Traditionelle Heimat der syrisch-orthodoxen Christen ist der Südosten der Türkei, insbesondere der Raum um die Städte Mardin und Midyat, das sogenannte Tur Abdin nahe der syrischen Grenze. Ihre wichtigsten geistlichen Zentren sind die Klöster Mor Gabriel bei Midyat und Deyrulzafaran in Mardin, die seit dem 3. Jahrhundert existieren. Im Krieg zwischen der PKK und der türkischen Armee gerieten die syrischen Christen allerdings immer mehr zwischen die Fronten. Viele flüchteten nach Europa, andere nach Istanbul.

Deutsche Besonderheit

Von den 25.000 syrisch-orthodoxen Christen, die heute in der Türkei leben, befinden sich rund 18.000 in Istanbul. Weil in Istanbul historisch keine syrisch-orthodoxen Christen lebten, entstand so der Bedarf nach einer neuen Kirche. Das Geld bringt eine Stiftung auf, das Baugelände stammt von der Stadt Istanbul.

Die deutsche Diskussion über das angebliche Verbot von Kirchenneubauten in der Türkei bezieht sich auf die kleine Gruppe katholischer und protestantischer Christen in Istanbul und Anatolien. Der Status der Christen in der Türkei ist im Friedensvertrag von Lausanne von 1923 geregelt. Weil es historisch kaum Katholiken und noch weniger Protestanten gab, tauchen beide Religionsgruppen im Lausanner Vertrag nicht auf. Daraus folgte, dass beide keinen Rechtsstatus besitzen und folglich keine Kirchen bauen und auch kein Grundstück kaufen können.

Weil Tausende Deutsche und andere Westeuropäer ihren Lebensabend in Alanya und Antalya verbringen, ist der Wunsch nach Kirchenneubauten aufgekommen. Nach langen Verhandlungen einigte man sich darauf, dass Protestanten und Katholiken gemeinsam einen Verein gründeten, der ein bestehendes, völlig schmuckloses Gebäude innen in eine Kirche umbaute. Das daraus keine neue, deutlich erkennbare Kirche wurde, lag aber zuerst daran, dass für einen Neubau kein Geld aufzutreiben war.

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