Zum Tanzen braucht man keine Füße

Warum sollten Rollstuhlfahrer nicht tanzen können? In Allermöhe tun sie es – zusammen mit einem „Fußgänger“ trainieren sie Standardtänze, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind

„Cha Cha Cha“ zischt es leise aus den Mündern, Füße trampeln auf den Boden. Der Herr führt, dreht die Dame und sie lacht. Sie sitzt im Rollstuhl.

Seit 1994 trainieren Karl-Heinz und Brigitte Lopau Rollstuhltanz, jeden Donnerstag anderthalb Stunden mit einem befreundeten Ehepaar. „Sie ist von der Hüfte aufwärts beweglich, wir können alle Standardtänze tanzen – von Walzer bis Jive“, erzählt Karl-Heinz Lopau.

Brigitte wird dabei nicht einfach herumgeschoben, sie ist aktive Tanzpartnerin. Er tippt vor und zurück mit den Füßen, sie macht die gleiche Figur mit dem Rollstuhl. Natürlich müssten manche Schritte abgewandelt werden, weil manches mit dem Rolli nicht gehe. „Aber wir legen großen Wert darauf, dass ein Tango als solcher erkennbar bleibt“, sagt Karl-Heinz. „Jetzt aber ‚Pretty Woman‘ bitte“, säuselt Brigitte, denn das ist ihr Lieblingslied. Karl-Heinz dreht an der Anlage und schon fegen die vier durch den Raum. Pirouetten, vor, zurück und wieder drehen. Am Ende wischen sich alle den Schweiß von der Stirn.

„Gerade den zwei Frauen geht es manchmal nicht gut, darauf nehmen wir Rücksicht“, erklärt Karl-Heinz. Sie sind an multipler Sklerose erkrankt: Brigitte sitzt seit fünfzehn Jahren im Rollstuhl, ihre Freundin Kerstin seit sieben. „Nach der Diagnose kam natürlich die Frage auf, was wir jetzt noch gemeinsam unternehmen könnten“, erzählt Karl-Heinz. „Und da wir schon immer gern getanzt haben, habe ich ihn dann zum Rollstuhltanz geschleppt“, ergänzt Brigitte.

Er erinnert sich noch, dass er in den ersten Monaten Angst vor komischen Blicken hatte, doch jetzt hat er genauso viel Spaß dabei wie seine Frau. Und so trauen sie sich nun auf jede Tanzfläche. „Mittlerweile wundern sich die Leute sogar, wenn wir mal nicht tanzen“ sagt er und lacht.

Rollstuhltanz entstand 1974 in München und ist heute ein ganz normaler Sport, der von Vereinen angeboten wird, im Fall der Lopaus vom TSG Bergedorf. Auch Turniere werden veranstaltet. Das goldene Tanzabzeichen haben die Lopaus zweimal erworben, auch etliche Auftritte auf Veranstaltungen liegen hinter ihnen – von Sportbällen über Feuerwehrfeste bis zu „Hamburg tanzt und turnt“ in der Alsterdorfer Sporthalle.

„Unsere Rollstühle sind Sportexemplare, mit schrägen Rädern, die auf der Bühne glitzern“, erklärt Brigitte Lopau. Neulinge bräuchten keine Angst vor den Kosten zu haben, man könne sie ohne Probleme bei der Krankenkasse beantragen.

Anschauen und zur Probe mitmachen können Interessierte aber auch ohne den Spezial-Rolli. „Die Hauptsache ist der Spaß an der Musik“, versichert Karl-Heinz. Es sei zwar ein wenig Übung nötig, um die exakten Stopps und Drehungen zu beherrschen, aber: „Wenn wir Neue haben, fangen wir einfach eine Stunde vorher an zu üben. Das ist kein Problem.“ Stefanie Helbig

Die Gruppe trainiert jeden Donnerstag von 19 bis 20.30 Uhr im Jugendzentrum JUZENA in Neu-Allermöhe. Interessenten können sich unter 040 – 720 22 73 an Karl-Heinz Lopau wenden.