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Vade retro, satanas

In den Sophiensælen inszeniert Gisèle Vienne die „Kindertotenlieder“ als Blackmetal-Ballett

Tanztheater, Puppenspiel, Blackmetal – bei der Performance „Kindertotenlieder“ der französischen Choreografin Gisèle Vienne kommt so einiges zusammen. Die 1872 entstandenen „Kindertotenlieder“ des Schweinfurter Professors Friedrich Rückert sind dank der Vertonung Gustav Mahlers weltberühmt. Einige Motive wurden von dem amerikanischen Autor Dennis Cooper, der sich mit seinen krassen Romanen über Teenangst und zerrüttete Sexualität einen Namen gemacht hat, zu Textfragmenten verarbeitet, zu denen Vienne nun eine frostige Untergangsstimmung in Schwarz-Weiß inszeniert hat. Ausgemergelte, anämische Körper, die aussehen wie Untote, und norwegische Blackmetaller in erschreckend aussehenden Dracula-Bemalungen torkeln in schwarzen Goth-Kostümen durch eine Winterlandschaft, die in einen Mantel aus düsterer Musik gehüllt wird. Die Choreografin selbst gibt an, dabei von der österreichischen Tradition der „Perchten“ beeinflusst gewesen zu sein. Von jenen mythischen Gestalten also, die einem alten Brauch folgend im Winter von Männern verkörpert werden, um einen Abwehrzauber gegen das Böse zu veranstalten.

Dieses voraufklärerische Ritual, der Totenzauber, die Auseinandersetzung mit Furcht und Schrecken, wird in der Performance mit einer astreinen Blackmetalästhetik versehen, wie man sie auf der Theaterbühne wohl nie zuvor erleben konnte. Blackmetal und dessen Beschäftigung mit dem Bösen ist hier mehr als bloßer Ideengeber und geliehenes Image, seine ihm sowieso schon innewohnende Theatralik und der Hang zur Verklärung des Schreckens kommen hier vielmehr zu sich selbst. Auch auf Covern, Booklets und in den Texten von Blackmetalplatten geht es immer wieder um die Natur einer vorchristlichen Zeit, die noch von allerlei Dämonen und Geistern bewohnt wird. Gemeinsam mit Peter Rehberg, Betreiber des Elektronik-Labels Mego und einer der interessantesten Laptop-Musiker weltweit, kam Vienne auf die Idee, einen ausgemachten Experten für das Ritualhafte im Blackmetal mit ins Boot zu holen: Stephen O’Malley, der in der Avantgarde-Metalband SunnO))) mitspielt. KTL, das Duo Rehberg und O’Malley, hat sich also für die „Kindertotenlieder“ zusammengefunden und es bereits auf zwei Platten gebracht. Die zerklüftete Elektronik Rehbergs und die Gitarrendrones O’Malleys verbreiten eine atemberaubend bedrückende Stimmung.

Bei der Performance in den Sophiensælen soll man am Ende nicht mehr wissen, ob nun das Treiben in der Schneelandschaft die Bilder zur Musik liefert oder umgekehrt. Bewegung und Musik sollen zu einem Gesamtkunstwerk verschmolzen werden. Rehberg ist fasziniert davon, sagt er, dass auf der Theaterbühne dann auch jeder Handgriff an der Maustaste choreografisch gedeutet werde. Am Abend vor der Deutschlandpremiere der „Kindertotenlieder“ werden KTL mit der Mathcore-Band The Locust im Festsaal Kreuzberg auftreten.

ANDREAS HARTMANN

KTL und The Locust, Samstag, Festsaal Kreuzberg, ab 22 Uhr; „Kindertotenlieder“, Sophiensæle, 26. und 27. August, 20 Uhr

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