Nicht mehr so ansteckend?

DEUTSCHLAND Sollte die linke Syriza-Partei in Athen an die Macht kommen, das Sparen aufgeben und das Schuldentilgen einstellen, wäre ein „Grexit“ denkbar, heißt es in Berlin

VON KAI SCHÖNEBERG
UND ERIC BONSE

BERLIN/BRÜSSEL taz | Wie eine knallharte Einmischung Berlins in die griechische Innenpolitik klingen die Planspiele aus dem Bundeskanzleramt. Angeblich hat der „Grexit“ – so nennen Experten das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone – für die deutsche Bundesregierung seinen Schrecken verloren.

Die Einheitswährung ohne Griechenland werde von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) als „verkraftbar“ angesehen, schrieb der Spiegel am Wochenende und berief sich dabei auf „Regierungskreise“. Sollte die linksgerichtete Syriza-Partei nach den Parlamentswahlen am 25. Januar an die Macht kommen, das Sparen aufgeben und das Schuldentilgen einstellen, wäre ein solcher Schritt sogar fast unausweichlich, hieß es weiter. Das ist ein radikaler Kurswechsel.

Noch 2012 war die Bundesregierung vor einem Rauswurf Griechenlands zurückgeschreckt. Das Land wird seit 2010 mit zwei Rettungspaketen in Höhe von 240 Milliarden Euro von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) über Wasser gehalten. Die „Troika“ verlangt dafür einen brutalen Sparkurs. Jeder vierte Grieche ist arbeitslos. Die Wirtschaftsleistung des Landes sackte seit 2010 um 20 Prozent ab – inzwischen wächst sie wieder leicht, allerdings von niedrigem Niveau aus.

Brüssel staunt

Die Einmischung des reichen Nordens kennen die Griechen bereits. Schon Anfang November 2011 scheiterte der damalige Premier Giorgos Papandreou damit, ein Referendum über die Spardiktate der Troika abzuhalten. Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy stoppten prompt die Auszahlung von 8 Milliarden Euro Hilfe. Die Folge: Athen drohte die Pleite, Papandreou sagte die Abstimmung ab – und trat zurück. Nun ist selbst die SPD für Härte gegenüber den Griechen. Es wäre Europas Steuerzahlern „nicht zu vermitteln, wenn in Griechenland die Probleme ausgesessen werden“, mahnte Fraktionschef Thomas Oppermann.

Der Grund für den Schwenk: Die Bundesregierung hält den Euro heute für sicherer als zum Höhepunkt der Krise 2012, als Griechenland nur durch einen Schuldenschnitt vor der Pleite gerettet werden konnte. Die Ansteckungsgefahr für andere Länder sei heute begrenzt, Portugal und Irland gelten als „saniert“, glaubt man in Berlin. Zudem sei der neue Rettungsfonds ESM schlagkräftig genug, wankende Staaten zu stützen.

Tatsächlich schuldet Griechenland derzeit kaum noch Banken und Investoren Geld. Ergo: Die Beendigung des Schuldendienstes würde vor allem die Steuerzahler anderer Eurostaaten betreffen. Allerdings: Der „Grexit“ birgt Risiken, warnen Ökonomen wie Peter Bofinger. Ein Ausstieg würde einen „Geist aus der Flasche“ lassen, „der nur schwer beherrschbar wäre“, sagte der Wirtschaftsweise der Welt am Sonntag. Von der EU wurde die angebliche Kehrtwende Deutschlands mit Befremden aufgenommen. Schließlich war Finanzminister Wolfgang Schäuble noch Mitte Dezember für den Verbleib Athens in der Eurozone. Der neue EU-Währungskommissar Pierre Moscovici war sogar eigens nach Athen gereist, um der Regierung eine Lockerung der Sparauflagen in Aussicht zu stellen.

Zudem ist ein „Grexit“ in den EU-Verträgen gar nicht vorgesehen. Die Rechtslage ist eindeutig: Wer der EU beitritt, muss auch den Euro einführen – es sei denn, er hat sich (wie Großbritannien) ein „Opt-out“ einräumen lassen.

Wer den Euro aufgeben will, muss im Prinzip auch die EU verlassen. Das würfe enorme Probleme auch für den Rettungsfonds ESM auf: Er müsste um seine Kredite bangen, was auch Berlin sehen sollte – Deutschland ist mit 65 Milliarden Euro größter Gläubiger. Das auf „findige Juristen“ abzuwälzen, wie im Spiegel erwähnt, ist aus Brüsseler Sicht geradezu abenteuerlich.