Bitte um Verzeihung wird abgelehnt

MISSBRAUCH Als sich die evangelische Kirche bei früheren Heimkindern entschuldigt, kommt es zum Eklat

BERLIN taz | Ein Eklat hat eine zentrale Veranstaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Heimerziehung überschattet. Bei der Gedenkstunde im Französischen Dom am Gendarmenmarkt in Berlin wollten die Diakonie und die EKD für das Unrecht an den früheren Heimkindern in evangelischen Häusern während der 50er und 60er Jahre um Verzeihung bitten. Mehrere ehemalige Heimkinder verließen jedoch unter Protest die Veranstaltung.

Bei einem Vortrag des Bochumer Wissenschaftlers Traugott Jähnichen verließen mehrere Personen diese historisch bedeutende evangelische Kirche. Manche riefen „Skandal“ oder „Frechheit“. Einer der früheren Heimkinder, der 65-jährige Wolfgang Focke aus Lügde, empörte sich vor allem über die Aussage Jähnichens, dass manche Erzieher bei einigen Heimkindern auch als gut in Erinnerung geblieben seien. Das sei „erlogen und erschwindelt“. Es werde nicht darüber gesprochen, wie das sei, von Erziehern „in den Arsch gefickt“ zu werden.

Focke zeigte sich entsetzt darüber, dass die Diakonie und die EKD einer zentralen Forderung der Heimkinder nicht entsprechen wollten. Zwar sollen für alle Heimkinder der 50er und 60er Jahre auch außerhalb der evangelischen Häuser nach einem Beschluss des bundesweiten „Runden Tisches Heimerziehung“ 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden – sowie weitere 20 Millionen zugunsten eines Rentenfonds für Betroffene. Die 100 Millionen Euro sollen jedoch nur dem Ausgleich von Folgeschäden dienen. Pauschale Entschädigungen soll es nicht geben. Therapien hatte er genug, sagte Focke, er wolle Geld haben.

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sagte, dass „Kirche und Diakonie schuldig geworden“ seien. Die materiellen Hilfen könnten „verlorene Lebenschancen nicht wiedergutmachen“. PHILIPP GESSLER