AUSGEHEN UND RUMSTEHENHÜTTENWIRTBÄRTE BEI ROY ODER VERANDA IN JAKARTA
: Ramona ist schon ganz schön lange her

Ausgehen und rumstehen

VON THOMAS MAUCH

Der Sommer ist ja schon deswegen vorbei, weil bald Weihnachten ist. Die frisch aufgelegten Lebkuchen in den Supermärkten erinnern einen unbarmherzig daran. Und Mützen. Werden wieder gern getragen. Auch schicke Toni-Sailer-Gedächtnis-Modelle, wie sie am Freitag im Bei Roy über den aktuell pflichtgemäßen Hüttenwirtbärten zu sehen waren, als man sich in dieser verschwiegenen Hinterhofecke in Neukölln auf eine längere Nacht für verschiedene Lärmmusiken traf. Konnte man als Off-Programm zum gesammelten Auftrieb der Berlin Music Week hören. Oder schlicht als weiteren Beleg, dass sich in der Stadt eben immer irgendwo eine spinnerte Musik finden lässt und einigermaßen obskure Geschäftsmodelle mit partizipativen Elementen.

An der Tür durfte man so seinen Eintritt selbst bestimmen, und bei den feilgebotenen Tonträgern antwortete man dem Krisengejammer im Geschäft mit einem entschiedenen Mut zur Liebhaberei, mit dem dann auch so ein älteres Verkaufsmodell wie die Musikkassette neu ins Spiel gebracht wird. Gleich eine ganze Kollektion davon hatten die Trancerocker von Datashock ins Bei Roy mitgebracht, und als De-luxe-Variante von eigentlich obsoleten Tonträgern passte deren jüngst erschienenes Doppelalbum bestens dazu. Es trägt den hübschen Titel „Pyramiden von Gießen“. Vom Krautrock-Hohepriester Julian Cope mit einem kernigen „buy this motherfucker, got me?“ empfohlen.

In der Live-Variante aber blieben die Pyramiden eher so mittelgroß, während die Datashock-Musiker auf dem Boden kauerten in einem exorzistischen Bemühen, nur ja jedes Fitzelchen an Pop aus der Musik herauszutreiben. Die hätten eh nur gestört bei dem schön stumpf gehaltenen Headbanger-Krautrock, der sich um so Lächerliches wie irgendwelche Gegenwartsmoden gar nicht erst kümmern wollte.

Oder einfach ein utopisches Geschichtsbewusstsein. Wie es sich auch mit der Zeichnung von Tatlins Entwurf zum „Monument der Dritten Internationale“ auf der Homepage von Bei Roy findet.

Der letzte wirkliche Welthit mit indonesischer Beteiligung dürfte 1960 „Ramona“ mit den Blue Diamonds gewesen sein, dem in Indonesien geborenen und dann in den Niederlanden beheimateten Brüderpaar, das wie viele andere Indonesier von den Niederlanden aus mithalf, auch Deutschland erst mit Rock ’n’ Roll zu missionieren. Unter dem Stichwort „Indo-Rock“ findet sich im Netz mehr zu dieser in die Musik hineinlappenden Kolonialgeschichte: Indonesien war ja mal niederländisch.

Nicht das Allerpopulärste

Wobei der Update in Sachen indonesischer Unterhaltungsmusik am Samstag im Haus der Kulturen der Welt dann noch ein Stückchen weiter zurückreichte. In etwa 500 Jahre. Weil die an dem Abend im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen präsentierte Musik auf das Treffen der ersten portugiesischen Kolonisten in Indonesien mit den lokalen Musiktraditionen zurückgehen soll, woraus Kroncong – Krontschong gesprochen – entstand. Nicht mehr unbedingt das allerpopulärste Ding in Indonesien, wie Ubiet gestand, die sonst bei der Jazzband Krakatau singt und sich halt dennoch mit ihrem Projekt Krongcong Tenggara dieses Pop-Oldtimers angenommen hat, in dem sich allerlei vor dem Rock ’n’ Roll gängige Unterhaltungsmusiken mit einem Faible für Südseemusik sammeln. Das noch behutsam mit der Jazzkompetenz des Ensembles abgeschmeckt. Eine angenehm schläfrige Kaffeehausmusik, entschieden sentimental in der Stimmung. Könnte sich auf dem Weltmusikmarkt als Alternative für die Hörer anbieten, die sonst beim finnischen Tango ihren Kick bekommen.

Und besonders schön war natürlich, dass wenigstens die indonesische Community gleich das Programmblatt als Fächer benutzte, um sich den Hauch einer Ahnung zuzufächeln, doch auf einer Veranda in Jakarta zu sitzen.

Am Sonntag war es doch noch ein anständiger Sommertag. 30 Grad. Schwül. Und am Abend spülte das Gewitter die Menschen von der Bordsteinkante.