Der lange Marsch zur Qualität

Die Mängel chinesischer Produkte haben nun zu spektakulären Rückrufaktionen geführt. Verantwortung dafür tragen in erster Linie die ausländischen Unternehmen im Land

Etwa ein Viertel aller Produkte „made in China“ weist Mängel auf. Neu ist nur der Ärger im Ausland

Wenn Angela Merkel diese Tage China besucht, dann geschieht dies in einer Zeit, in der sich die Berichte über Mängel chinesischer Produkte gehäuft haben. Es gab Rückrufaktionen von Zahnpasta, Tierfutter oder Spielzeug, die Substanzen enthielten, die als für die Konsumenten schädlich eingestuft wurden. Zum Teil lassen sich die aufgeregten Reaktionen auf die genannten Mängel durch die wirtschaftspolitische Großwetterlage erklären. So hat China mit seinem Exportvolumen bereits die USA überrundet und dürfte in naher Zukunft Deutschland als „Exportweltmeister“ ablösen. Schon seit längerem drängen zudem vor allem die USA auf eine stärkere Aufwertung der chinesischen Währung, weil sie den künstlich unterbewerteten Renminbi als wesentlichen Grund für die chinesischen Exporterfolge ansehen.

In manchen Kommentaren klingt daher eine gewisse Schadenfreude durch, scheinen die Skandale doch zu zeigen, dass die chinesischen Handelserfolge quasi mit unlauteren Mitteln erzielt werden. Auch die chinesische Seite reagiert auf die Situation teilweise reflexhaft, indem sie darauf hinweist, dass China ja noch ein Entwicklungsland sei. Zugleich wird dem Ausland vorgeworfen, die Vorfälle hochzuspielen, um Chinas Produkte in Verruf zu bringen und deren Absatzchancen zu verringern. Wie aber steht es um die Qualität der Produkte, die aus China kommen? Wer oder was trägt die Verantwortung für Mängel? Und erleben wir gerade eine neue Variante des Ringens um Chinas Rolle in der Welthandelsordnung, gar einen kleinen Handelskrieg?

In der Volksrepublik sind Probleme mit der Produktqualität nichts Neues. Bereits seit Beginn des Reformprozesses und im Zuge der Liberalisierung des Wirtschaftsgeschehens seit den 1990er-Jahren hat dieses Problem den chinesischen Wirtschaftsboom begleitet. Schon im Jahr 1992 wurde die Kampagne „Langer Marsch für die Qualität“ initiiert, aus der unter anderem eine gleichnamige Zeitschrift hervorging, in der auf Fälle von Produktfälschungen und Qualitätsmängeln eingegangen wurde. Auch gibt es eine staatliche Verwaltung für Qualitätsüberprüfung, Inspektionen und Quarantäne, die regelmäßig Statistiken dazu veröffentlicht, wie hoch der Anteil der Produkte ist, der die nationalen Qualitätsnormen erfüllt. Im Jahr 2005 soll demnach der Anteil der standardgerechten Produkte unter den überprüften bei 79,5 Prozent, im Jahr 2006 bei 77,4 Prozent der Produkte gelegen haben. Das Problem ist der chinesischen Regierung also durchaus bekannt, die nötigen Gesetze sind vorhanden. Das eigentliche Problem liegt wie so oft in deren Durchsetzung. Neu ist also nicht, dass etwa ein Viertel der chinesischen Produkte Qualitätsmängel aufweist. Neu ist, dass diese Probleme auch im Ausland auftreten und für Ärger sorgen. Doch wer trägt dafür die Verantwortung?

Es scheint sinnvoll, diese Frage zunächst aus der Sicht der Konsumenten im Ausland zu betrachten: Sie können erwarten, dass Produkte, die in ihrem Land auf den Markt kommen, den üblichen, rechtlich kodifizierten Sicherheits- und Qualitätsstandards ihres Landes entsprechen. Um diese zu gewährleisten, gibt es entsprechende Regeln und Organisationen, die die Produktqualität überprüfen. Werden Mängel oder Verstöße gegen bestehende Vorschriften festgestellt, muss die Öffentlichkeit darüber informiert und das verantwortliche Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden. Liegen aber keine Verstöße gegen Rechtsvorschriften vor, gibt es für die Behörden keinen Grund einzuschreiten. Da die Kontrolle aber immer nur stichprobenartig erfolgen kann, obliegt es auch der kritischen Öffentlichkeit, auf Qualität zu achten. Konsumenten müssen bedenken, dass es in der Regel ein Preis-Leistungs-Verhältnis gibt, das auch für Produkte aus China gilt. Teurere Produkte garantieren in der Regel bessere Qualität (und auch viele dieser teureren Produkte werden heute in China gefertigt).

Wer aber trägt die Verantwortung für Produktmängel, wie sie in letzter Zeit festgestellt werde wurden? „China“ oder „die Chinesen“ sicher nicht. Vielmehr liegt sie bei den ausländischen Unternehmen, die in China produzieren, oder bei Unternehmen, die Produkte in China in Auftrag geben. Wenn also ein bekannter Spielzeughersteller, wie kürzlich geschehen, aus Sicherheitsgründen sein Spielzeug zurückruft und darauf hinweist, dass es aus chinesischer Produktion stammt, so ist das keine Entschuldigung. Denn die Produkte werden unter der Marke dieses Herstellers in der ganzen Welt verkauft. Es ist daher Aufgabe dieses Herstellers, die standardgerechte Produktion in China zu gewährleisten. Deswegen mit dem Finger auf „China“ zu zeigen, ist unangemessen. Es kann keine Kollektivhaft für ganze Länder geben.

Zudem muss bedacht werden, dass der größte Teil der Exportprodukte, die aus China kommen, von ausländischen Firmen produziert wird. Sie haben meist einen Teil ihrer Produktion oder gleich die gesamte Fertigung nach China verlagert, um von den günstigen Standortbedingungen dort zu profitieren. Das ist legitim. Aber ein Unternehmen, das von diesen Standortbedingungen profitieren will, muss auch in Kauf nehmen, dass Qualitätsmanagement in China vielleicht schwerer durchzusetzen ist als anderswo. Unternehmen, die selbst nicht in China produzieren, dort aber Produkte in Auftrag geben, müssen sich nicht wundern, wenn der günstige „China-Preis“ gelegentlich auch durch Zugeständnisse bei der Qualität erkauft wird.

Auf die Verantwortung ausländischer Produzenten oder Auftraggeber hinzuweisen bedeutet nicht, das chinesische System in Schutz zu nehmen. Chinesische Konsumenten leiden schon seit langem unter dem Problem, dass in ihrem Heimatmarkt die Produktqualität nicht gesichert ist. Die Verunsicherung der Konsumenten wird durch die zahlreichen illegal kopierten Markenprodukte noch verschärft. So fragen sich viele chinesische Eltern verzweifelt, ob das Milchpulver, das sie für ihre kleinen Kinder kaufen, auch wirklich gut ist, und Patienten sind verunsichert über die Qualität der Arzneien, die sie schlucken. Wenn relativ konstant 20 bis 25 Prozent der Produktion nach nationalen Kriterien als qualitativ minderwertig eingestuft werden, so deutet dies durchaus auf ein Versagen der Politik hin.

Durch die zunehmende Einbindung Chinas in die internationalen Produktionsnetzwerke und den internationalen Handel wird dieses Problem jetzt auch im Ausland relevant. Diejenigen ausländischen Unternehmen, die in China produzieren (lassen) und nun auf diese Problem stoßen, haben schlichtweg ihre Hausaufgaben nicht gemacht, wenn sie das Risiko zuvor nicht erkannt haben wollen.

Für Chinas Wirtschaft ist der Imageschaden immens. Für Chinas Konsumenten könnte das ein Segen sein

Für den chinesischen Außenhandel könnte der Imageschaden erheblich sein. Für die chinesischen Konsumenten aber könnte er sich als Segen erweisen. Denn in Anbetracht der großen Bedeutung der Exporte für die chinesische Wirtschaft wird die chinesische Regierung ihre Anstrengungen in Sachen Qualitätssicherung nun verstärken. Vielleicht wird sie, da es nun um die Exportmärkte und die ausländischen Investoren geht, darin in Zukunft mehr Unterstützung auf lokaler Ebene erfahren. In jedem Fall dürfte ihr aber mehr Unterstützung durch die ausländischen Unternehmen sicher sein. DORIS FISCHER

Fotohinweis:Doris Fischer, Jahrgang 1965, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Sie hat über die Wettbewerbsordnung in der VR China promoviert und ist Mitherausgeberin des neuen „Länderberichts China“ der Bundeszentrale für Politische Bildung, der im Herbst erscheint.