„Die Macht der Flüchtigen“

FREMDE Um den Einfluss der Touristen auf das Stadtleben dreht sich eine Diskussion im Café Grün

■ 55, ist Kulturwissenschaftlerin und forscht an der Uni Bremen zum Stadtleben.

taz: Frau Dreyer, was bedeuten Touristen für Bremen?

Ursula Dreyer: Der Tourist ist, kulturwissenschaftlich gesehen, eine widersprüchliche Figur. Einerseits ist er in der Stadt nicht zu Hause – andererseits hinterlässt er dort etwas, prägt die Stadt.

Sie sprechen von der „Macht der Touristen“?

Ja, es gibt Viertel, wo der Lebensrhythmus der Bewohner auf Touristen abgestimmt ist. In Berlin ist die Touristifizierung ein großes Thema, Kiez-Strukturen verschwinden, Hotels und Restaurants verdrängen das städtische Leben.

Ist das auch ein Bremer Problem?

Ja, ein Beispiel dafür ist das Schnoor-Viertel. Tagsüber ist es voller Besucher, abends wie ausgestorben. Die eigentlichen Bewohner sieht man kaum. Und wenn von der Umgestaltung der Innenstadt die Rede ist, ist auch klar, dass sie vor allem für Besucher attraktiv gemacht werden soll.

Gibt der Tourist von heute mehr Anlass zur Kritik als früher?

So lange es den Touristen gibt, gibt es auch Kritik an ihm und besonders am Massentourismus. Der heutige Tourismus soll aber, meiner Meinung nach, besonders spektakulär sein und ist auf Kurzfristigkeit ausgerichtet – es gibt da eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die heutigen Touristen stellen hohe Erwartungen an die Stadt. Das setzt diese wiederum unter Druck, ein Image zu pflegen, eine Marke zu entwickeln.

Aber sind sie nicht auch gut für Bremen?

Ja, natürlich. Die Macht der Flüchtigen ist auch eine positive Macht. Sie bringen Geld, Geschäftsleute haben sicher nichts gegen Touristen. Aber es braucht eine persönlichere Form der Begegnung zwischen ihnen und Einheimischen.

Interview: Julia Rotenberger

19 Uhr, Café Grün