Faustrecht im Straßenverkehr

Verkehrsclub und Polizeigewerkschaft klagen zu Schulanfang über sinkende Verkehrssicherheit. Der Grund dafür: Es seien nicht genug Polizisten auf den Straßen im Einsatz. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück

Der Straßenverkehr in Berlin wird nach Aussagen des Verkehrsclub Deutschland (VCD) immer gefährlicher. Grund dafür seien fehlende Polizisten. „Die Polizeipräsenz im Berliner Verkehr ist in den letzten zwei Jahren durch die Kürzungen des Senats drastisch gesunken“, sagt Harald Walsberg vom VCD. Dadurch sei die Verkehrssicherheit „auf breiter Front“ zusammengebrochen.

„Die Polizei reagiert nur noch und kann fast nicht mehr vorbeugend tätig werden“, bestätigt Klaus Eisenreich von der Gewerkschaft der Polizei Berlin. Seit dem Jahr 2000 sollen 3.300 Polizistenstellen eingespart worden sein. „Die Polizei ist personell nicht in der Lage, den Überwachungsdruck im Straßenverkehr sicherzustellen“, so Eisenreich. Ob Fußgänger, Rad- oder Autofahrer – „jeder macht, was er will“, sagt Eisenreich.

Walsberg vom VCD hat diese Entwicklung selbst beobachtet: „Früher habe ich an großen Straßen alle drei Minuten einen Streifenwagen im Verkehrsfluss gezählt. Heute gibt es keinerlei Regelmäßigkeit mehr“, sagt er. „Lärmbelästigungen, Beinahe-Unfälle und Behinderungen“ hätten stark zugenommen.

„Auf den Straßen regiert das Faustrecht“, sagt auch Eisenreich. Da das Strafrisiko so gering sei, würden zahlreiche Autofahrer auf den Busspuren oder bei Rot über die Ampel fahren. Auch beim Falschparken falle die mangelnde Polizeipräsenz auf, ergänzt Walsberg. Demnach sei etwa die Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg trotz eines Halteverbotes regelmäßig zugeparkt. „Da kümmert sich niemand drum“, klagt Walsberg.

Dass die Parkmoral sinkt, hat auch Markus van Stegen, der im Stab des Polizeipräsidenten für Straßenverkehr zuständig ist, festgestellt. Allerdings habe sich auch der Fahrzeitverkehr in den vergangenen 30 Jahren verdreifacht und die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge sei in Berlin mittlerweile auf 1,4 Millionen gestiegen. „Die höhere Verkehrsdichte und eine Unfallhäufung in letzter Zeit können fälscherlicherweise den Eindruck erwecken, dass die gefühlte Sicherheit im Straßenverkehr sinkt“, sagt van Stegen, „die registrierten Unfälle sprechen aber eine deutlich andere Sprache.“

So sei die Zahl der Straßenverkehrsunfälle laut Verkehrsopferbilanz in den vergangen zwei Jahren von 125.087 auf 120.559 gesunken. Durch modernisierte Techniken würden aber seit Anfang des Jahres außerdem auch Drängler erfasst, so van Stegen. „Verkehrsgerechtigkeit ist neben der Einsicht des Fahrers von dem Entdeckungsrisiko und den drohenden Folgen abhängig“, erklärt van Stegen. An beidem würde die Polizei seit Jahresbeginn verstärkt arbeiten.

Auch Polizeisprecher Bernhard Schodrowski weißt die Vorwürfe zurück. Mit mindestens 102 Funkwagen im Einsatz sei die Verkehrssicherheit in Berlin gewährleistet. JESSICA SCHOBER