„Von der Stadt hatte niemand Zeit“

WIDERSTAND „Ulrich protestiert“ heißt eine Reportage-Reihe mit ZDF-Reporter Wolf-Christian Ulrich. In der Pilotfolge geht es um die Hamburger „Recht auf Stadt“-Bewegung. Interview mit Regisseur Tim Gorbauch

■ 40, studierte Musikwissenschaften. Er ist Filmemacher und Mitgesellschafter der Produktionsfirma Bewegte Zeiten.

taz: Wie kamen Sie darauf, eine Reportage-Reihe zum Thema „Protest“ zu drehen?

Tim Gorbauch: Protest hat eine ungeheure Renaissance erfahren. Man muss da nicht einmal an Stuttgart 21 denken, man kann das auch am Widerstand gegen den neuen Berliner Flughafen sehen. Oder eben am Protest gegen Vertreibung und Verdrängung in Großstädten. Es ist eine neue Protestkultur entstanden, die mit Pop spielt, die auch Spaß machen soll und die trotzdem was will. Die erste Folge spielt in Hamburg – wieso?

Gentrifizierung ist ja in aller Munde. Und das finde ich erst mal spannend, wie so ein wissenschaftliches Wort plötzlich Einlass findet in Alltagssprache und fast so etwas wie ein Kampfbegriff geworden ist. Aber was steckt dahinter, was bedeutet Vertreibung und Verdrängung, was heißt das, wenn man ein „Recht auf Stadt“ fordert? Ich finde das hoch aktuell. Und der Protest ist eben nirgends so präsent wie in Hamburg. So kam es zu Thema und Ort für unsere Pilotfolge.

Was ist das Eigentümliche an dem Hamburger Widerstand gehen Gentrifizierung?

Dass er erfolgreich ist. Seit der Besetzung des Gängeviertels vor zwei Jahren kann kein Investor und kein Stadtplaner den Protest mehr ignorieren.

Der Journalist Christoph Twickel übersetzt Gentrifizierung an einer Stelle Ihrer Reportage mit „Get the Fuck out“. Ist Gentrifizierung eine Art von Säuberung der Innenstädte?

Twickel zitiert da einen amerikanischen Soziologen. Er selbst weiß ganz genau, dass Gentrifizierung nicht auf eine so einfache Formel zu bringen ist. Aber am Ende ist die Gefahr da, dass die Bewohnerschaft eines Viertels komplett ausgetauscht wird – und nur noch der da wohnt, der genug Kohle dafür hat.

In ihrem Film besucht ZDF-Reporter Wolf-Christian Ulrich verschiedene Initiativen. Wie kam die Auswahl zustande?

So irrsinnig gerne ist das Fernsehen in Hamburger Protestkreisen nicht gesehen, von daher war auch immer ein bisschen Überzeugungsarbeit vonnöten. Aber wir wollten auch nicht bloß dem Protest ein Forum geben, sondern auch Investoren zu Wort kommen lassen oder die Sichtweise der Saga einfangen. Wir hätten auch gerne gewusst, was die Position der Stadt ist. Aber da hatte niemand Zeit für uns.

Geht es Ihnen darum, kritisches Bewusstsein zu schaffen?

Sich einmischen kann sich lohnen, klar. Dabei geht es überhaupt nicht darum, ob wir alle Forderungen teilen. Aber der Protest ist da. Und wir möchten wissen, wer und was dahinter steckt. INTERVIEW: MARC PESCHKE

„Ulrich protestiert“: Samstag, 17. 9., 20.15 Uhr, ZDFinfo