Reporter im Blutrausch

MEDIEN Ein Video zeigt die rohe Gewalt der Attentäter von Paris. Ein Journalist und ein Journalistenverband verbreiten es weiter. Geht’s noch?

Die Nachricht vom Attentat auf die Pariser Satirezeitung Charlie Hebdo platzte am Mittwoch genau in die Zeit der Mittagspause. Womöglich beginnt genau hier das Problem: Wie hungrige Wölfe im Blutrausch stürzten sich einige Reporter auf die Bilder, die die brutalen Angreifer zeigen.

Etwa 13.26 Uhr verabschiedete sich bei Spiegel-Online-Chefreporter Jörg Diehl der Verstand in die Kantine. Nur so ist zu erklären, warum der Journalist über sein Twitter-Profil ein abscheuliches Amateurvideo vom Schauplatz teilte: Es zeigt, wie einer der Angreifer auf einen schreienden, am Boden liegenden Polizisten zuläuft. Der Mann blickt flehend nach oben, der Angreifer schießt ihm erbarmungslos aus nächster Nähe in den Kopf.

Viele Nutzer empören sich über Diehls Weiterverbreitung des Clips, der auf einer niederländischen Internetseite zu sehen ist. „Sie bedienen Gaffer und verhöhnen die Opfer“, schreibt Twitter-User Albert, „Sie sind eine Schande für Ihren Berufsstand“, schreibt Diego Garcia.

Diehl rechtfertigt die Veröffentlichung. Es gebe „unter dem Film eine explizite Warnung, was zu sehen sein wird“. Die gibt es tatsächlich. In niederländischer Sprache. Trotzdem sollte nicht jeder Dreck mit Hinweis auf Distanzierung einfach verbreitet werden.

Das weiß auch Diehl und sagt auf taz-Nachfrage: „Auf Spiegel Online verzichten wir grundsätzlich darauf, den Tod eines Menschen in Film oder Fotografie abzubilden. Die Menschenwürde des Opfers verbietet eine solche Darstellung, die unangemessen wäre.“ Warum er das Video trotzdem verbreitet, erklärt er nicht.

Im Pressekodex, Ziffer 11, heißt es: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessene sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid.“ Alle Journalisten sollten das wissen und auch die rechtlichen Folgen beachten. Medienanwalt Tim Hoesmann weist darauf hin, dass die Veröffentlichung laut Strafgesetzbuch strafbar sein könnte: „Gewaltdarstellungen wie die Tötung des Polizisten in dem Charlie-Hebdo-Video im Internet sind verboten.“

Mögliche rechtliche Folgen

In derartigen Situationen ergreift der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in der Regel mahnende Worte, ruft zur Mäßigung auf. Doch genau das Gegenteil passierte. Der Brandenburger Landesvorsitzende Klaus Minhardt veröffentlichte das Video auf seiner Facebook-Seite. Vom Profil des Verbandes wurde der Link weiterverbreitet. Auch hier stößt es Nutzern unangenehm auf.

Der DJV-Landesverband findet das alles in Ordnung und schreibt trotzig: „Führt die Diskussion doch mit den Holländern.“ Er verweist darauf, dass auch die Fernsehsender n-tv und France24 das Video gezeigt hätten. Das stimmt nicht ganz. Denn bei n-tv stoppt das Video kurz vor dem Schuss des Attentäters, steht für einen Moment und zeigt dann erst wieder die davonlaufenden Täter.

Beim Bundesverband des DJV stellt Sprecher Hendrik Zörner klar: „Es gibt keine Rechtfertigung, Bilder von der gezielten Tötung von Menschen zu zeigen.“ Die Twitter-Aktion wird noch ein Nachspiel im Verband haben. Zörner kündigt an, über den Tweet werde innerhalb des DJV noch zu reden sein: „Ich stehe da halbwegs fassungslos vor.“

JENS TWIEHAUS