KRIMINELLE TOURISTEN
: Wählt Guy Debord

Parteiabgeordnete, die in Berliner Hinterhofecken pinkeln

„Was macht ihr auf meiner Brücke?“, fragt uns der Vorsitzende der Partei, Martin Sonneborn, als wir über die Admiralbrücke gehen. „Wir müssen nur schnell was erledigen und kommen dann wieder zurück“, antworte ich. Das ist zwar keine Antwort auf seine Frage, aber die habe ich auch nicht verstanden. Martin Sonneborn nickt freundlich chinesisch wie immer. Ein paar Meter weiter sagt mir Nadja, was Sonneborn wirklich gesagt hat. Daraufhin finde ich meine Antwort gar nicht so schlecht.

Die Partei hat auf der Admiralbrücke plakatiert, z. B. „[kriminelle] Touristen raus“. Warum eigentlich nur die kriminellen, frage ich mich? Nicht, dass ich etwas gegen Touristen habe. Einige meiner besten Freunde sind Touristen, z. B. ich. Die Touristen stört das Plakat nicht. Nicht einmal die kriminellen. Sie sitzen auf Decken, picknicken und spielen Karten. Sie lassen sich nicht mal von den Plakaten der Grünen stören, auf denen sich ein Gesicht und ein Name befinden, die man sich nicht merken kann.

Es gibt eine Gruppe, die sich daran stört, aber diese Gruppe gibt es schon lange nicht mehr und schon gar nicht in Berlin. Sie war in den 60ern in Paris zu Hause und hieß Situationistische Internationale. Ihr Anführer war Guy Debord, und er fand Wahlen pervers. Jetzt ist die SI wiederauferstanden und überklebt die Plakate der Grünen mit „Wählt Guy Debord“. Ich finde das so aufregend, dass ich nach Hause eile, um meine Digitalkamera zu holen.

Dann gehe ich weiter in die Admiralstraße, wo die Partei ihr Wahlbüro hat, um zu fragen, ob ich schon mal meine Stimme dort abgeben kann. Aber das Büro hat zu. Es hängen nur noch ein paar Plakate im Schaufenster. Parteiabgeordnete, die in Berliner Hinterhofecken pinkeln. Guy Debord hätte das gefallen. Vielleicht aber auch nicht. Man kann ihn leider nicht mehr fragen. Er ist seit 17 Jahren tot.

KLAUS BITTERMANN