Obdachlosen-Folter auf Video

In Hannover haben zwei junge Männer einen Obdachlosen misshandelt und ihre Tat dabei gefilmt. Auf dem beschlagnahmten Handy fand sich das Video einer weiteren Misshandlung. Die Staatsanwaltschaft will nun ein schnelles Verfahren

In Hannover ist dies bereits der vierte gemeldete Übergriff auf einen Obdachlosen.Am 12. Januar 2007 schlugen zwei Russlanddeutsche auf einen 46-jährigen Wohnungslosen ein. Am 4. Januar 2007 traten zwei 16-Jährige auf einen 52 Jahre alten Obdachlosen ein und verletzten ihn am Kopf. Einer urinierte auf das Opfer, während der andere die Tat filmte. Der Haupttäter war betrunken. Am 16. Oktober 2006 prügelten fünf Deutschrussen einen Wohnungslosen auf einer Parkbank nieder, und filmten sich dabei. Auch in diesem Fall waren die Täter alkoholisiert. In Bremen und in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel kann sich die Polizei an ähnlich Vorfälle nicht erinnern, auch in Hamburg sind der Polizei solche Fälle nicht bekannt. SHE

VON BENJAMIN GEHRS

Zwei betrunkene Männer im Alter von 18 und 19 Jahren haben in der Nacht zum Samstag an Hannovers zentralem Omnibusbahnhof einen 29-jährigen Obdachlosen schwer misshandelt. Laut Polizeiangaben stürzten die beiden Täter zunächst die Bank um, auf der der Mann schlief und sprangen danach mehrfach auf ihr am Boden liegendes Opfer. Anschließend urinierte der 19-Jährige auf den Obdachlosen, während sein Komplize die Tat mit dem Handy filmte. Nach der Attacke zogen die beiden Männer ihrem Opfer die Schuhe aus und verstreuten diese sowie weitere persönliche Gegenstände ihres Opfers am Tatort.

Vermutlich drei Männer und zwei Frauen beobachteten die Tat, schritten aber zunächst nicht ein. Die beiden Täter entfernten sich danach. Als sie kurz darauf wiederkamen und Anstalten machten, ihre Prügelorgie fortzusetzen, hinderten die Zeugen sie daran und hielten die beiden Täter bis zum Eintreffen der Polizei fest. Ihr Opfer wurde mit Rückenverletzungen ins Krankenhaus gebracht, ist aber nach Polizeiangaben mittlerweile wieder entlassen.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat gestern Ermittlungen gegen die beiden Täter wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen. Laut Angaben von Oberstaatsanwalt Thomas Klinge haben die Beschuldigten die Tat bereits weitgehend eingeräumt. Die Polizei hatte sie schon am Samstag wieder auf freien Fuß gesetzt, da kein Haftgrund vorgelegen habe. Die jungen Männer sind bisher vor allem mit Diebstahlsdelikten aufgefallen. In den vergangenen Fällen wurde bei den beiden jungen Männern Jugendstrafrecht angewandt.

Bei der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts droht den Tätern eine Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Auch wegen der öffentlichen Berichterstattung möchte die Staatsanwaltschaft eine rechtskräftige Entscheidung innerhalb weniger Wochen erreichen. „Wir wollen ein vorrangiges Verfahren, um zu zeigen, dass eine solche Misshandlung nicht geduldet wird“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Klinge.

Es handelt sich dabei bereits um den vierten bekannt gewordenen Fall in Hannover innerhalb eines Jahres, bei dem junge Männer einen Obdachlosen misshandeln. Dass die Dunkelziffer bei den Übergriffen womöglich deutlich höher liegt, zeigt das Handy eines der beiden Täter. Neben dem aktuellen Videomitschnitt befindet sich darauf auch die Aufnahme einer zweiten Misshandlung, die wahrscheinlich vom 13. August stammt und die zeigt, wie ein weiterer Obdachloser in einer U-Bahn-Station zusammengeschlagen wird. Der Übergriff wurde bisher nicht zur Anzeige gebracht. Die Polizei sucht jetzt nach dem Opfer sowie nach Zeugen des Vorfalls.

Gottfried Schöne, Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose des Diakonischen Werks Hannover, wundert das nicht: „Das ist genau das, was wir immer erleben. Dass die Wohnungslosen eine Benachteiligung – in diesem Fall eine schlimme Benachteiligung – erfahren, dass es aber nicht öffentlich wird.“ Scham spiele eine entscheidende Rolle dafür, dass die Obdachlosen keine Anzeige erstatten, aber auch die schlechten Erfahrungen mit Polizei und Justiz.

Warum die Übergriffe auf Obdachlose sich in Hannover in letzter Zeit so häufen, ist auch der Polizei ein Rätsel. Organisierte Banden seien aber nicht am Werk, sagte ein Polizeisprecher. Der Alkohol, der immer mit im Spiel sei, schaffe eine „aggressive Grundtendenz“, die dann bei „zufälligen Zusammentreffen“ zu den Übergriffen führe.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer sagte der taz, den jugendlichen Tätern sei meist gemeinsam, dass sie aus einem sozial schwachen Umfeld kämen und einen niedrigen Bildungsstand hätten. „Jemanden zu erniedrigen ist ein Weg, um sein eigenes Selbstbewusstsein aufzupolieren.“ Sich bei seiner Tat selbst zu filmen, passe dabei ebenso in das Täterprofil.