berliner szenen Leuchtstoffröhrenherz

„Dat erzähl ich jeden!“

Träge rauschen Autos und vereinzelte Doppeldeckerbusse unter dem Balkon entlang, genauso träge hängen wir in den Balkonstühlen. Im Grillimbiss gegenüber ist Ruhe eingekehrt. Die Kunden, die am frühen Abend noch „Nur nach Hause gehn wir nicht“ sangen, sind neben ihren Bierflaschen zusammengesunken. In den Lichtrhythmus der Ampel mischt sich das Flackern des Leuchstoffröhrenherzens vom Eckhaus gegenüber. Es hat zwei Eingänge, die verschiedene Namen tragen, aber wohl zum selben Etablissement gehören. Wir hegen den Verdacht, dass unsere unscheinbare Vormieterin ihr Fernglas gar nicht aus professionellen Gründen (Forstwissenschaft!) an der Garderobe hängen hatte, sondern um den Erotikdienstleister mit den oft nur nachlässig geschlossenen Jalousien genau im Blick zu haben.

Plötzlich laute, hektische Stimmen, die Tür gegenüber kracht gegen die Wand. Die meisten Männer, die dieses Haus verlassen, sind eher um einen unauffälligen Abgang bemüht. Jetzt taumeln zwei Gestalten auf die Straße, Hawaiihemd trifft Ballonseide, erschütternde Übererfüllung des Klischees. Der Türsteher baut sich drohend im Türrahmen auf, die Gestalten verstummen und legen eine Denkpause ein. Schließlich entscheiden sie sich für den Rückzug und wanken die Straße hinunter, wobei sie die ganze Breite des Gehsteiges nutzen. Kurz bevor sie um die Ecke biegen, drehen sie sich noch einmal um. Der eine reckt die Faust Richtung Türsteher und brüllt: „Aber eins sach ich dir, Mann: Dein Puff is dat Letzte! Dat erzähl ich jeden!“ Offensichtlich zufrieden mit sich verschwinden sie in der Querstraße, der Türsteher schließt die Tür, und das Leuchtstoffröhrenherz flackert weiter im Halbdunkel.STEFAN NICKELS