„Ethno-Panik“

Afrikanerin wegen Verdachts auf Beschneidung in Schweden zwangsuntersucht. Schadenersatz?

STOCKHOLM taz ■ Dürfen Sozialbehörden ein zehnjähriges Mädchen einer erzwungenen gynäkologischen Untersuchung unterziehen, weil der Verdacht besteht, die Eltern hätten ihre Tochter beschneiden lassen? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt die schwedische Justiz. Am Montag teilte in Stockholm Katri Linna, Ombudsfrau gegen ethnische Diskriminierung, mit, sie habe wegen eines derartigen Falls, den sie als „Ethno-Panik“ bezeichnet, eine Klage auf Schadenersatzzahlung für das betreffende Mädchen und seine Eltern erhoben.

Die Geschichte spielte sich bereits vor drei Jahren ab. Damals suchte ein Schwede somalischer Herkunft, der schon seit 15 Jahren mit seiner Familie im Lande lebt, mit einem Kleinkind eine städtische Kinderambulanz in Uppsala auf. Begleitet wurde er dabei auch von seiner zehnjährigen Tochter, die der Krankenschwester stolz erzählte, sie würde im Sommer nach Somalia fahren, um endlich ihre Großeltern zu treffen.

Die Krankenschwester hatte in der Presse von Fällen gelesen, in denen Eltern ihre Mädchen in Somalia hatten verstümmeln lassen und schöpfte Verdacht. Sie bat den Vater nach dem Afrikaaufenthalt mit seiner Tochter noch einmal wegen einer Untersuchung vorbeizukommen. Da sie ihm diesen Wunsch nicht plausibel begründen konnte, lehnte dieser ab: Er komme nur zur Ambulanz oder zum Arzt, wenn seine Kinder krank seien.

Daraufhin schickte die Krankenschwester einen Bericht an die Sozialbehörde der Stadt Uppsala, die die Polizei einschaltete und veranlasste, dass die Zehnjährige nach der Rückkehr aus dem Urlaub mit Zwang zu einer gynäkologischen Untersuchung gebracht wurde. Dabei wurden die Eltern absichtlich umgangen und das Kind ohne Vorwarnung aus dem Schulunterricht geholt. Auf Beteuerungen, es sei gar nichts mit ihr geschehen, wurde keine Rücksicht genommen.

Katri Linna sieht in diesem Vorgang nicht nur eine grobe Verletzung der Integrität des Kindes. Auch der Verdacht gegen die Eltern habe keinen anderen Grund als deren Herkunft gehabt. Wie sich aus den Sozialakten ergeben hat, hatten die Eltern in Gesprächen, die im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zum Thema Beschneidung mit ihnen geführt worden waren, klar gemacht, dass sie eine Beschneidung von Mädchen grundsätzlich ablehnten. Man habe eben eine „Riskikoabwägung“ vorgenommen, sich die Entscheidung aber keinesfalls leicht gemacht, kommentiert Behördenleiterin Mary Nilsson das damalige Vorgehen.

Katri Linna sieht das anders: Tatsächlich habe die Verwaltung nur eine mögliche strafbare Handlung der Eltern vor Augen gehabt, diesen Verdacht allein auf die somalische Herkunft gegründet und das Kindeswohl dabei völlig aus den Augen verloren. Und sie kritisiert auch, dass die Behörde keine Veranlassung sah, nach ihrem Fehlverhalten dem Kind und den Eltern psychologische Hilfe anzubieten. Linna fordert nun eine Schadenersatzzahlung von umgerechnet 50.000 Euro. REINHARD WOLFF