Krank von der Werft

Zehn Jahre nach Schließung des Bremer Vulkans sind die Ex-Beschäftigten arbeitslos und krank. Das zeigt eine neue Studie. Besonders hart hat es die heute 50- bis 60-Jährigen getroffen. Für sie gilt: „Zu krank um zu arbeiten und zu jung für die Rente“

Am 15. August 1997 schloss die Bremer Traditionswerft Vulkan – nach 103 Jahren. 2.000 Menschen waren arbeitslos. Im Jahr zuvor hatte die Werft Konkurs angemeldet, Banken hatten Liquiditätsprobleme nicht auffangen wollen. Der damalige Vorstandvorsitzende der AG, Friedrich Hennemann, musste sich vor Gericht verantworten – wegen der Veruntreuung von Millionengeldern zur Rettung der Werft. Das Geld war für den Aufbau Ost bestimmt gewesen. eib

aus Bremen Eiken Bruhn

43 Jahre hat Rolf Spalek gearbeitet, 30 Jahre davon als als Maler und Betriebsrat auf der Bremer Vulkan-Werft, die vor zehn Jahren dichtmachte (siehe Kasten). Für seinen Einsatz bekommt der 62-Jährige jetzt eine Rente von 670 Euro monatlich, netto. Spalek wirkt bitter, wenn er diese Zahl nennt, aber eigentlich will er sich nicht beklagen. „Ich bin gesund“, sagt er und drückt beide Damen. „Toi, toi, toi, dass das so bleibt.“ Vielen seiner ehemaligen Kollegen geht es deutlich schlechter als Spalek. Das weiß er schon lange aus persönlichen Gesprächen, jetzt aber kann er es auch mit Zahlen belegen. 310 Ex-Werftarbeiter haben Fragen zu ihrer Gesundheit und ihrer Lebenssituation beantwortet – für eine Studie, die Spalek gestern mit seinen MitautorInnen vorstellte. Das Ergebnis: Den unter Fünfzigjährigen geht es relativ gut. Fast 90 Prozent von ihnen haben Arbeit, immerhin noch 47,6 Prozent der unter 40-Jährigen und 40 Prozent der 40- bis 49-Jährigen bezeichnen sich als zufrieden, ein kleiner Teil hat gesundheitliche Probleme. Ganz anders die über 50-Jährigen: „Sie sind zu krank für die Arbeit und zu jung für die Rente“, sagt Wolfgang Hien, Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler, der mit Spalek bereits an der ersten, vor sieben Jahren erschienenen Studie zusammengearbeitet hatte.

Ein Viertel der Ex-Werftarbeiter zwischen 50 und 59 Jahren sind arbeitslos, anders als ihre jüngeren Kollegen fanden sie damals keine Arbeit bei den kleineren Bremer Werften oder DaimlerChrysler. 28,1 Prozent klagen über einen schlechten bis sehr schlechten Gesundheitszustand – sowohl eine Folge der harten Arbeitsbedingungen auf der Werft als auch der psychischen Belastung durch den Verlust des langjährigen Arbeitsplatzes, sagt Hien. Je größer der Platz sei, den jemand der Arbeit in seinem Leben einräume, desto größer die Gefahr krank zu werden, so Hien. Aus den Interviews, die mit 30 Ex-Vulkanesen und fünf Ehefrauen von Werftarbeitern geführt wurden – der Frauenanteil bei Vulkan lag nur bei sechs Prozent und die meisten Frauen arbeiteten in der Verwaltung – wird deutlich, dass die Werft für viele tatsächlich der Lebensmittelpunkt war. Sie beschreiben, wie sie fehlende Sicherheitsmaßnahmen, harte Arbeitsbedingungen und lange Schichten in Kauf nahmen – und sagen rückblickend, dass sie das nicht immer hätten tun müssen. „Protestantischer Arbeitsethos“ und „männliche Kultur“ nennt Hien das. „Die Menschen haben sich krankgearbeitet, zum Teil auch selbst verschuldet“. Das entlaste jedoch Sozialversicherungsträger und Politik nicht davon, für diese Leute zu sorgen, sagte Hien. Es sei entwürdigend, wie sie in einem „Spießrutenlauf“ von einer Institution zur nächsten geschickt würden, keine fühle sich für sie zuständig.

„Die brauchen eine Grundsicherung“, forderte der Wissenschaftler. 98 Prozent hätten von den Berufsgenossenschaften keine Entschädigungen für Gesundheitsschäden bekommen, schätzt Spalek. Er war lange als Betriebsrat für Gesundheitsfragen zuständig und hilft heute ehrenamtlich Menschen, die eine Berufskrankheit anerkennen lassen wollen. „Das Problem ist, dass sie es oft nicht hieb- und stichfest beweisen können“, sagt er. Umso mehr ärgert er sich, dass der Konkursverwalter damals Listen vernichtete, auf denen stand, mit welchen Stoffen die Arbeiter umgehen mussten.