: Eine faustdicke Überraschung
KROATIEN Kolinda Grabar-Kitarovic ist die erste Präsidentin des Balkanstaats. Die streng konservative Politikerin verfügt über politisches Geschick, ist weltgewandt und erfahren
AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER
Den politischen Kommentatoren in Zagreb hat es am Wahlabend fast die Sprache verschlagen. Der Sieg der konservativen 46-jährigen Kolinda Grabar-Kitarovic mit 50,4 Prozent der Stimmen kommt einer Sensation gleich. Zumal die Wahlbeteiligung mit über 58 Prozent höher als bei der Wahl zuvor lag.
Im Überschwang der Gefühle versprach die für die erzkonservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) angetretene Siegerin noch am Wahlabend, „Kroatien zu einem der entwickeltsten Länder Europas und der Welt zu machen“. Sie weiß sehr wohl, dass sie als Präsidentin des Landes gar keinen direkten Einfluss auf die noch von den Sozialdemokraten bestimmte Regierungs- und Wirtschaftspolitik hat.
Nur in der Außenpolitik hat der kroatische Präsident großen Einfluss. Als ehemalige Außenministerin der Regierung Sanader 2003 bis 2008 und als stellvertretende Generalsekretärin der Nato verfügt Grabar-Kitarovic über beträchtliche Erfahrung auf diesem Gebiet.
Die Außenpolitik spielte im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle, wenn man von der Stellung zu Bosnien und Herzegowina absieht. In Bezug auf die kroatischen Wähler dort hat sie nationalistische Töne angeschlagen. Sonst aber unterscheidet sich Grabar-Kitarovic hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft und des Engagements Kroatiens in der Nato nicht vom Gegenkandidaten, dem 57-jährigen sozialdemokratischen Amtsinhaber Ivo Josipovic.
Ausschlaggebend für den konservativen Sieg war die sich stetig verschlechternde wirtschaftliche Lage im Land. Die Integration in die EU hat zusätzliche Arbeitsplätze gekostet, die seit 2008 ansteigende Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 50 Prozent gestiegen. Die voranschreitende Verarmung der Bevölkerung ist für jeden in Kroatien sichtbar.
Brüssel fordert vom Land weitere tief greifende Reformen. Grabar-Kitarovic hat die Reformpolitik, die weitere Opfer erfordern wird, im Wahlkampf weitgehend ausgeblendet und im Gegensatz zu ihrem Gegenkandidaten unrealistische Wahlversprechen abgegeben. Bei gesellschaftlich kontroversen Themen wie die von ihrer Partei und der katholischen Kirche bekämpfte Homo-Ehe, bei dem Thema der Rolle der Frau in der Gesellschaft und den Forderungen der Nationalisten aus ihrer Partei, die Rechte der serbischen Minderheit im Lande einzugrenzen, hat sie sich bedeckt gehalten und keine Angriffsflächen geboten. Viele angesichts der wirtschaftlichen Lage verzweifelte Wähler haben ihre Versprechungen ernst genommen. Den Ausschlag für ihren Wahlsieg haben aber die Kroaten der Herzegowina gegeben. Der das Bürgertum Zagrebs repräsentierende feinsinnige Jurist und Musiker Ivo Josipovic ist kein Hau-drauf-Politiker und war damit wehrlos gegenüber einfachen Parolen. Sein Vorschlag, die notwendigen Reformprojekte durch Volksabstimmungen legitimieren zu lassen, wurde zwar von kompetenten Seiten, so auch aus Brüssel, gelobt. Doch die Umsetzbarkeit dieses Vorhabens blieb dem Wähler eher verborgen.
Ob die wieder ganz nach rechts gerückte HDZ aber langfristig Freude an ihrer neuen Präsidentin haben wird, muss sich noch herausstellen. Denn die aus dem „roten“ Rijeka stammende Grabar-Kitarovic ist nicht nur die konservative Mutti, als die sie auf den Wahlplakaten gezeichnet wurde, sie gilt als weltläufig und keineswegs provinziell. Wie sie wirklich zu den konservativen Familienvorstellungen der HDZ steht, könnte die Partei noch überraschen. Die studierte Sprachwissenschaftlerin spricht fließend Englisch, Spanisch und Portugiesisch und hat ihren Mann, den Professor Jakov Kitarovic, davon überzeugt, seine Karriere aufzugeben, um sie auf ihren zahlreichen Posten im Ausland zu begleiten. Last not least: Sie ist die erste Frau im Präsidentenamt von Kroatien.
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