Planvoll scheitern

FESTIVAL Drei Tage lang verwandelt das Hamburger Reeperbahnfestival Clubs und Bankfilialen rund um den Kiez in ein riesiges Festivalgelände. Möglichkeiten Neues zu entdecken gibt es zuhauf – am Ende verheddert man sich aber doch wieder nur in einem Club

Der Reiz des Reeperbahnfestivals ist, dass alle Pläne am Ende nicht aufgehen

VON MAX WALLENHORST

Am Ende wird man es zu der einzigen Band, die man unbedingt sehen wollte, doch wieder nicht geschafft haben. Der Laden, in dem sie gespielt hat, war schon zu voll – oder man selbst. Am Ende wird man sich doch wieder in einen fremden Song oder in einen fremden Menschen verliebt haben – oder beides. Und an wessen Namen kann man sich dann erinnern?

Heute beginnt das 6. Reeperbahnfestival und bleibt bis Sonntagmorgen wach. Die Veranstalter verbinden auch dieses Jahr wieder ambitionierte Vorhaben mit dem langen Wochenende: Mehr als 30 Clubs, Theater, Konzerthallen und andere Kiezetablissements bringen sie unter einen Hut, von der St. Pauli-Kirche bis hin zur Bankfiliale sollen sie eine Pop-Allianz bilden und den Asphalt der Reeperbahn und des Drumrums für drei Tage zum Festivalcampingplatz umbauen. Nur ohne Zelte und ohne Schlafen. Nebenbei wollen sie natürlich genau die Bands zeigen, die in wenigen Monaten auf die Cover der Musikmagazine der Welt abheben. An großen Namen soll trotzdem nicht gespart werden.

Doch damit nicht genug: Seit der ersten Ausgabe des Festivals gibt es zusätzlich den Bereich „Arts“, unter dem auch dieses Mal Kino, Musik-Poster, Street Art und einige Lesungen präsentiert werden. Und seit 2009 öffnet sich der Reeperbahnfestival-„Campus“ – „die innovative Konferenz- und B2B-Plattform für die Musik und Live Entertainment-Branche in Nordeuropa.“ Was auch immer eine B2B-Plattform ist, 1.500 Medienvertreter kommen irgendwie zusammen und geben oder lauschen „Key- Note Statements“ und es passieren andere, ähnliche Dinge, bei denen man nie weiß, wo man den Bindestrich setzen soll.

Schön und gut. Der Reiz des Reeperbahnfestivals ist aber eigentlich, dass all diese Pläne nicht aufgehen. Obwohl man tausend Möglichkeiten hat, bekannte Helden spielen zu hören, neue Musik, neue Orte zu entdecken, verheddert man sich doch nur in einem einzigen Klub, kommt nicht raus oder pendelt die ganze Nacht zwischen dem einen und dem anderen Ende vom Kiez. (Zumindest im Leben des hier Schreibenden trägt es sich regelmäßig so zu.) Nichtsdestotrotz – am Ende guckt man doch noch tagelang stumm auf sein Handgelenk, ist man doch noch gebannt von den an das Festivalbändchen gehefteten Erinnerungen.

Vielleicht taucht dann unter diesen Erinnerungen auch ein junger Mann auf, er heißt Ludwig Plath und wenn er heute Abend um 23.45 Uhr in Angie’s Nachtklub aufspielt, heißt er Touchy Mob. Über seinen Bart spricht sowieso jeder, und wenn sich seine Blues-Stimme zwischen die düsteren Geräuschteppiche aus dem Laptop und die Akustikgitarre legt, spricht sowieso niemand mehr. Auf fast jedem kleineren Festivalplakat war dieses Jahr der Name Touchy Mob zu lesen und wer ihn zu Hause am darauf folgenden Montag auf Youtube noch mal angehört hat, mochte auch noch die guten Texte. Menschen mit einer Karte für Donnerstag, die Freitag zu einer richtigen Arbeit gehen und früh aufstehen müssen, sei ein früherer Auftritt in Angie’s Nachtklub empfohlen: Die Heiterkeit singen um 21.20 Uhr davon, dass alles neu ist und davon, sich trotzdem immer noch bedeckt zu halten. Und ihre Hamburger Gitarren, ja, es klingt kitschig, können irgendwie schon einen verkorksten Tag retten.

Mindestens diese Fähigkeit haben Herman Dune aus Frankreich auch in ihrem Repertoire, die zusammen mit ihrem niedlichen französischen Englisch und ihrem Jahrmarktfolk am Freitag um zehn nach elf in den Fliegenden Bauten zu sehen sind. Den Rest der Nacht wird im Rest der Klubs die wunderbare Zeile „Baby, I’m not on top“ zu hören sein: gemurmelt, gesummt oder gegrölt, je nach Verfassung.

Am Samstag um etwa dieselbe Zeit tritt schließlich die Gruppe Ja, Panik im Gruenspan an. Unter der Parole DMD KIU LIDT („Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“) werden sie das typische Samstagmitternachtstief überbrücken – indem sie alle Zuhörer noch viel tiefer reinreißen. Und als Zugabe gibt es die Songs, zu denen man tanzen kann.

■ Hamburg: Do, 22. 9. bis Sa, 24. 9., www.reeperbahnfestival.com