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Naturidyll und Sündenfall

Ernst, nur überzeichnet: Ein DDR-Bonzensöhnchen muss 1974 im Wehrdienst „An die Grenze“ (20.40 Uhr, Arte)

Es ist noch keinen Monat her, da sagte Egon Krenz: „Es hat einen Tötungsbefehl oder, wie Sie es nennen, ‚Schießbefehl‘ nicht gegeben.“ Das Berliner Landgericht hatte das 1997 anders gesehen und ihn verurteilt. Vernünftige Zweifel an einem Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze gibt es lange nicht mehr; gerade erst entpuppte sich eine vermeintliche Enthüllung der Birthler-Behörde als alter Hut.

Man weiß also, was Sache ist, wenn gleich zu Beginn des Films „An die Grenze“ der junge Alexander Karow (überzeugend: Jacob Matschenz) bei seiner Musterung gefragt wird: „Wenn ein Grenzverletzer auf Sie zukommt, werden Sie bereit sein, unser Land zu schützen?“ Ihm wird erst später klar, dass die „Grenzverletzer“ seine Landsleute sind. Als Bonzensöhnchen tritt er seinen Wehrdienst bei den Grenztruppen der DDR an.

Urs Egger, Schweizer „Opernball“-Regisseur, widmet sich nun mit Drehbuchautor Stefan Kolditz einem spezifisch deutschen Thema. Kolditz leistete selbst seinen Wehrdienst Mitte der 70er-Jahre – der Film spielt 1974 – an der innerdeutschen Grenze. Anders als zuvor der wehrdiensterfahrene Leander Haussmann mit „NVA“ gehen Egger/Kolditz das Thema jedoch tiefernst an. Gerade deshalb irritiert die Überzeichnung einiger Charaktere wie des Hauptmanns Dobbs. Jürgen Heinrich spielt ihn als Witzfigur, als Vorgesetzten ohne Autorität, dessen Ehefrau (Corinna Harfouch) ihm vor aller Augen Hörner aufsetzt. Mit der Kolportage ist erst Schluss, als Dobbs sich den Lauf seiner Pistole in den Mund schiebt. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Das gilt auch für manche Dialoge. Schon bei ihrem ersten gemeinsamen Dienst gibt sich der Rekrut Gappa die Blöße, weist gen Westen und belehrt Alexander: „Hier die Lüge, da die fette Selbstgefälligkeit – und dazwischen keine Alternative.“ Bei allem Verständnis für filmische Verdichtung: Glaubhaft sind solche Sätze nicht.

Diese Mängel sind umso bedauerlicher, als sie zu vermeiden gewesen wären. Dann hätte ein nicht nur sehenswerter, sondern großer Film entstehen können. An der Besetzung lag es nicht. Auch die Kameraführung durch Martin Kukula gelingt souverän: Naturidyll und Sündenfall der Grenzanlagen – diesen Bruch zeigt er in herrlich suggestiven Bildern. JENS MÜLLER

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