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Langstreckenüberleben

ASKESE Bloß nicht noch eine Story, in der jemand sein Heil im Verzicht sucht? Doch! Reese Witherspoon in dem Roadmovie „Der große Trip – Wild“

Nicht schon wieder, mag der erste Gedanke sein, wenn man von „Der große Trip – Wild“ hört. Nicht schon wieder Memoiren darüber, wie jemand aus unserer Wohlstandswelt aufbricht, um das wahrere Glück im Verzicht und in der Strapaze zu finden. Dazu noch auf Buchformat gestrafft. Nach dem Motto: Mein Jahr ohne Gluten, ohne Internet, ohne Schlafanzug. Im Fall von Cheryl Strayed, der US-amerikanischen Autorin der Vorlage zu „Wild“, handelt es sich um eine Wanderung. Das klingt erschreckend normal. Und drängt sich für eine Verfilmung geradezu auf. Kein Wunder, dass Reese Witherspoon – die hier auch als Produzentin in Erscheinung tritt – auf der Suche nach möglichen Projekten, in denen sie zeigen könnte, was in ihr steckt, sich noch vor der Veröffentlichung die Filmrechte sicherte.

Strayed lief als junge Frau den „Pacific Crest Trail“ entlang, einen Fernwanderweg, der von Mexiko bis Kanada führt. Sie wanderte von der Mojave-Wüste Kaliforniens bis zur nördlichen Staatengrenze von Oregon, immerhin 1.700 Kilometer. Und schrieb dann besagte Memoiren darüber, wie sie als völlig Ungeübte mit dem Campen und Laufen in der Wildnis kämpfte und gleichzeitig mit den Erfahrungen ihrer jüngsten Vergangenheit ins Reine kam, mit dem Krebstod ihrer erst 45-jährigen Mutter und ihrer eigenen, in Drogenkonsum und sexuellen Eskapaden resultierenden Reaktionen darauf. Nach einem Drehbuch von Nick Hornby setzt Regisseur Jean-Marc Vallée diese doppelte Erzählung von äußerer Bewegung und innerer Betrachtung mit Witherspoon in der Hauptrolle so schnörkellos um, dass man als Zuschauer schließlich wie hinterrücks von der eigenen Rührung überfallen wird.

Man sieht, wie Witherspoon trotzig aufbricht, wie sie ihren Rucksack zu Beginn viel zu volllädt, wie sie sich Blasen läuft, wie sie als allein wandernde Frau sich einerseits vor fremden Männern hüten und andererseits von ihnen Hilfe annehmen muss – eine Erfahrung, die der Film präzise und undramatisch einfängt, als das, was sie ist: ganz alltägliche weibliche Überlebensstrategie. Wie überhaupt die Genauigkeit ohne falsche sentimentale oder dramatische Aufladung die Qualität dieses Films ausmachen, dem Witherspoon mit ihrer Darstellung ein zusätzliches Glanzlicht aufsetzt: Sie spielt, als wäre es ihr egal, wie sie beim Publikum ankommt, tough und nicht unbedingt sympathisch, verschlossen, selbstbewusst und ohne aus dem Wanderritual gleich eine Religion zu machen, wie es in den „Mein Jahr mit/ohne“-Büchern so oft der Fall ist.

Und dann ist da noch Laura Dern als allein erziehende Mutter in den Erinnerungsflashbacks: eine fast nervig frohe Hippie-Natur, die selbst in Lebenskrisen nur Optimismen von sich gibt. Wie „ungerecht“ die Tochter deren frühen Tod empfunden haben muss, wie schwer zu ertragen und zu betrauern, das macht „Wild“ dem Zuschauer begreiflich, als wäre er die 1.700 Kilometer selbst mitgelaufen.

BARBARA SCHWEIZERHOF

■ „Der große Trip – Wild“. Regie: Jean-Marc Vallée. Mit Reese Witherspoon, Laura Dern, Gaby Hoffmann u. a. USA 2014, 116 Min.

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