die taz vor 15 jahren über ostdeutschland und die neonazis aus dem westen
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Ich erinnere mich an die Zeit nach der Wiedervereinigung als eine Phase zagender Erwartung, eines mühsamen, auch leicht schuldbewußten Optimismus: da waren sie nun, die neuen Mitbürger, und sollten zur Kenntnis genommen werden. Wer Angst vor Wachstuch und Plaste hatte, tröstete sich mit den sozialen Errungenschaften (von der Abtreibungsregelung über den Kindergartenplatz bis zum Wohnraumanspruch): da würde ein selbstbewußter Anspruch laut, so hofften wir, der den Westarbeitslosen, den Westmüttern, den WestmieterInnen fehlt. Im übrigen hielt man sich raus: In Essen wie in Oberbayern hoffte man leise, es werde alles weitergehen wie bisher. Der Osten war eine weiße Fläche und würde irgendwann aussehen wie der Rest. Für die Angleichung wurden Geld und Beamte geschickt.

Das ist nun leider schiefgegangen. Der Osten meldet sich zurück wie eine Bande unerzogener Kinder. Anstatt bei den Richtigen Randale zu machen, zum Beispiel das Rathaus, den Landtag und das Parlament mit Ansprüchen zu bewerfen, schmeißen sie Steine auf die Underdogs.

Der Osten, eine weiße Fläche, tobt auch die schwelenden Probleme des Westens aus: Gut organisierte rechtsradikale Gruppen aus Westdeutschland können dort exekutieren, was in Westdeutschland so noch nicht möglich ist. Sie treffen auf eine zutiefst unzufriedene, sich gedemütigt fühlende Bevölkerung, die fleißig applaudiert. Der weiße Osten hat sich ganz schnell braun eingefärbt. Wer 1990 die dumpfen Ahnungen des Auslands und der hiesigen Linken belächelt hat, müßte eigentlich jetzt mal eine Sprechpause einlegen. Stattdessen parlieren dieselben Schreibtischtäter munter weiter und sehen „soziale Unzufriedenheit“, aber natürlich keinen „Ausländerhaß“. Der weißbraune Osten bleibt Projektionsfläche des Westens, der nicht sehen will, daß die brutale Avantgarde des Westens vom Osten her zurückkommt – erstarkt, ermuntert und gut entschuldigt. Elke Schmitter, taz vom 7. 9. 1992