Kein Markt für NS-Aufarbeitung

Das Seminar „Quickborn unterm Hakenkreuz“ des Soziologen Jörg Penning lehnte die örtliche VHS ab, weil angeblich die Interessenten fehlten. Eine Bürgerinitiative nahm sich des Kurses an und plant jetzt bereits die dritte Veranstaltungsreihe

Jörg Pennings Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die Nationalsozialisten bei der Quickborner Landbevölkerung auf so große Resonanz stoßen konnten: Bei den Wahlen im Juli 1932 erreichte die NSDAP hier 62 Prozent, das Doppelte des Bundesdurchschnitts. Besonders im Mittelstand fand die Partei viele Unterstützer. Der Soziologe hat herausgefunden, dass es bereits vor der Machtübernahme antisemitische, nationalistische und völkische Traditionen in der Bevölkerung gab. In der Arbeit tauchen auch Namen örtlicher Funktionsträger der NSDAP auf. Während des Nationalsozialismus wurden 35 Quickborner Bürger wegen politischer, rassischer und weltanschaulicher Vergehen inhaftiert, drei von ihnen kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Im nahegelegenen Himmelmoor gab es ein Gefangenenlager, in dem jüdische Häftlinge zum Torfstechen festgehalten wurden. BEG

AUS QUICKBORN BENJAMIN GEHRS

Gespart werden muss überall. Die Ökonomisierung macht vor nichts halt, auch nicht vor der Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte. Das musste der Soziologe Jörg Penning erfahren. Für das von ihm angebotene Seminar „Quickborn unterm Hakenkreuz“ sei im Programm der Volkshochschule kein Platz, befand deren Leiter Martin Zipperling. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Wegen der anfallenden Druckkosten könne der Kurs nicht ins VHS-Heft, beschied er dem verdutzten Antragsteller. Außerdem glaube er ohnehin nicht, dass sich genügend Quickborner für das Thema begeistern könnten. Als Leiter einer kostenrechnenden Einrichtung sehe er schlichtweg keine ausreichende Nachfrage für das Thema.

Das war im Januar 2007, drei Monate nachdem Jörg Penning seinen Kursvorschlag eingereicht hatte. Der gebürtige Quickborner wollte die Ergebnisse seiner Diplomarbeit zu Aufstieg und Herrschaft der Nationalsozialisten in der Stadt interessierten Bürgern darlegen. „Zugegebenermaßen spät“ habe er den Antragsteller informiert, räumt VHS-Leiter Zipperling mittlerweile ein. Zu spät, um seine Meinung noch zu überdenken jedenfalls, denn das Programmheft für das nächste Semester war bereits gedruckt.

Er schlug Penning vor, im Folgesemester anstatt eines Seminares einen Vortrag zu halten. Penning jedoch fühlte sich von dem Vorschlag „abgespeist“. Zumal es Kurse wie „Die Macht der Gedanken“ und „Mit wenig Aufwand perfekt geschminkt“ ins Programm der VHS geschafft hatten. Penning schrieb an Zipperling: „Vermuten Sie tatsächlich, dass das Interesse einer 20.000 Einwohner zählenden Stadt so gering ist, dass nicht die Mindestteilnehmerzahl von sechs Personen erreicht worden wäre?“ Er habe das Gefühl, der VHS-Leiter sei des Themas Nationalsozialismus vielmehr „überdrüssig“.

Der abgewiesene Dozent schickte den Brief auch an „geschichtsinteressierte Quickborner“, die daraufhin reihenweise beim VHS-Leiter auf der Matte standen. Martin Zipperling sieht mittlerweile ein, dass er seine Entscheidung auf eine „falsche Einschätzung der Marktlage“ gestützt habe. Dem Vorwurf aber, er habe sich von Personen beraten lassen, die die Aufarbeitung der NS-Zeit in Quickborn verhindern wollten, widerspricht er: „Die Fehleinschätzung habe ich allein mir anzulasten.“

Der Weg schien nun frei, das Seminar im folgenden Semester stattfinden zu lassen. Mit der Veröffentlichung des Briefes habe Penning sich als VHS-Dozent jedoch disqualifiziert, findet Zipperling nun: „Er erfüllt nicht zwei Mindeststandards: Konfliktfähigkeit und Loyalität.“ Den nahe liegenden Vorwurf, der VHS-Leiter selbst zeige mit dieser Entscheidung mangelnde Konfliktfähigkeit, weist er zurück: Er habe den Brief von Penning als Kritik an der VHS verstanden und nicht an ihm persönlich. Martin Zipperling ist sich sicher, nicht ihm, sondern „der VHS ist ein Imageschaden entstanden“.

Auch Quickborns Bürgermeister Thomas Köppl, zwischenzeitlich als Fürsprecher für den Kurs gewonnen, findet Penning als Dozent nun nicht mehr tragbar. Mit öffentlichem Druck habe der Sozialwissenschaftler sein persönliches finanzielles Interesse durchsetzen wollen: „Ich hatte das Gefühl, da hat jemand eine Diplomarbeit geschrieben und will die jetzt vermarkten.“ Pro 90-minütiger Seminareinheit hätte Jörg Penning von der VHS ein Entgelt in Höhe von 15,50 Euro erhalten.

Das Seminar drohte zu scheitern, als sich die geschichtsinteressierten Bürger kurzerhand zur Initiative „Selbstbewusstes Quickborn“ zusammenschlossen, um den Kurs auf eigene Faust zu organisieren. Mit großem Erfolg: Über 60 Anmeldungen gingen ein, aus einem Seminar wurden zwei. In Quickborn gebe es aber immer noch viele, die kein Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte hätten, glaubt Sabine Schaefer-Maniezki, Mitglied der Initiative. Insbesondere, da in Pennings Diplomarbeit auch Namen genannt würden, gebe es Vorbehalte. „Dabei geht es uns nicht darum zu sagen: Der war Aufseher.“

Ein erster sichtbarer Erfolg der Bürgerinitiative erinnert an die Insassen des Gefangenenlagers Himmelmoor (siehe Kasten): Mit überschüssigen Einnahmen aus den Seminaren wurde eine Gedenktafel finanziert, die an der ehemaligen Unterkunft der Gefangenen aufgestellt werden soll. Nun will die Initiative das gewonnene Selbstbewusstsein weiter nutzen: Was ist am Seminar noch zu verbessern, wie kann man der Opfer der Nazis gedenken, wie an das Wissen der Zeitzeugen herankommen?

Teilnehmer der ersten beiden Kurse machen Vorschläge, heften Zettel an Pinnwände. Vielleicht können sie im nächsten Seminar auch einen zu ungewollter Bekanntheit gekommenen Quickborner in ihren Reihen begrüßen. Auf einen der Zettel hat jemand für den nächsten Kurs geschrieben: „Einladung an den VHS-Leiter“.