Schach der Phaedra

Heiter und abgeklärt ist die Musik, steif und staksig die Opernregie: wie in der Uraufführung von Hans Werner Henzes „Phaedra“ in der Staatsoper die Anteilnahme allmählich verblasst

VON BJÖRN GOTTSTEIN

Eines sei vorweg gesagt: Sie sieht großartig aus, diese Bühne. Der isländische Künstler Olafur Eliasson ist bekannt für seine technizistischen, abstrakten Objekte und auch in seinem Bühnenbild für die Staatsoper ist alles kalt, edel, klar. Spiegel und Gaze vervielfachen den Raum, brechen die Bewegungen, verleihen der Handlung Vorder-, Hinter- und Zwischengründe.

Gleich am Anfang, wenn der Vorhang sich hebt, erstrahlt der Saal in einem gewaltigen Spiegel. Jetzt erst sieht man die Musiker des Ensemble Modern am Ende des Raums, dem Hörer im Rücken. Zwischen Bühne und Ensemble erscheint im Spiegel das Publikum. Nanu, das bin ja ich. Was habe ich denn verloren in dieser unheilvollen Geschichte? Und schon ist man drin in diesem Stück über Eifersucht, Intrige und unerfüllte Liebe.

Warum sich Hans Werner Henze ausgerechnet für den Mythos der Phaedra als Stoff seiner vielleicht letzten Oper entschieden hat, das bleibt wohl sein Geheimnis. Sicher, der italienische Nemi-See, in dessen Nähe Henze wohnt, ist der Legende nach der Ort, an dem Hippolyt, das tragische Objekt der Liebe Phaedras, wiederauferstanden ist und als „König der Wälder“ der Diana diente. Man versteht schon, dass der altersweise Komponist, heue immerhin 81 Jahre alt, noch den Hauch des hippolytischen Geistes zu verspüren meinte und dass er diesem Spuk eine Stimme zu verleihen wünschte. Aber schön ist sie nicht, diese Geschichte, in der sich die Protagonisten, Menschen wie Götter, in Gefühle und Zwänge verstricken, alles falsch machen und in der sie jeder noch so gut gemeinte Schritt ihrem Schicksal nur näher bringt.

Umso erstaunlicher die Musik. Denn die will von der defätistischen Hoffnungslosigkeit, der Hippolyt und Phaedra und ihre göttlichen Doppelgänger, Artemis und Aphrodite, ausgeliefert sind, nichts wissen. Stattdessen kommentiert die Musik die Handlung mit sachlicher Abgeklärtheit und weiser Ironie. Der schlanke, gediegene Kontrapunkt, die dunklen Farben der meist tiefen Bläser, der rhapsodische Sprung ins Tänzerische: all das hat man von Henze lange nicht gehört. Ja, nach den schwerfälligen, zum Raunen angetanen Werken der Neunzigerjahre offenbart sich hier ein neuer, im Alter – man darf es ruhig einmal sagen: heiter gewordener Henze.

Eine „Konzertoper“ hat Henze das Stück genannt, ein schöner Widerspruch, der der Regie allerdings zu schaffen machte. Ursprünglich hatte es nur ganz wenige Musiker geben sollen, die, nicht anders als die Sänger, auf der Bühne zu Werke gehen. Zum einen aber hat sich das Ensemble der Sänger und Musiker bei der Arbeit am Stück dann fast selbständig erweitert. Zum anderen wollte Peter Mussbach, Intendant der Staatsoper und Regisseur der Phaedra, sein Metier, das der „großen Oper“, offenbar nicht leichtfertig preisgeben. Zumal wenn der Glanz einer Henze-Uraufführung dem Haus einen historischen Augenblick gewährt.

So ist es eben doch eine Oper geworden, mit aufwändigen Bühnenbauten, weiten Räumen und großen Gesten. Die Sänger staksen über Steg und Bühne und gebärden sich wie Pantomimen – Augen und Münder weit aufgerissen, die Arme verzweifelt gen Himmel gereckt. Einzig ein paar Unanständigkeiten lockern den Abend ein wenig auf.

Dass all diese an sich ja durchaus legitimen Gesten hier ins Leere laufen, liegt daran, dass Henze kein dramatisches, sondern ein allegorisches Stück geschrieben hat. Fast höhepunktlos zieht die Geschichte ihre Kreise. Auch lässt der hohe, leicht bleierne Stil des Librettos von Christian Lehnert kaum Spitzen zu. Ohne Heroik und Psychologie gleichen die Protagonisten den Figuren eines Schachbretts. Statt die menschlichen Tiefen des Mythos aufzuwühlen, werden sterile Archetypen vorgeführt und ausgestellt. Damit verblasst nach und nach auch die Anteilnahme, die die verspiegelte Wand dem Publikum eingangs versprach.

Erst im letzten und schönsten Bild der Oper wachsen Musik, Sänger und Szene einmal über sich hinaus und es gelingt, die ausweglos gewordene Situation als einen ewigen und deshalb nicht anders als zu ertragenden Moment zu verklären. Einmal mehr hat Eliasson den Raum verzaubert. Ein verspiegelter Ball mit inwendigen Fluchten und Klüften verwandelt den Bühnenquader in eine gleitende Landschaft. Diese gigantische Diskokugel leuchtet die Szene verspielt mit ihren geometrischen Formen aus.

Die Sänger vereinen sich endlich im „wir sind alle nackt geboren“, in das Henze seine ganze Kraft gelegt hat. Hymnus, Schwärmerei, Eleganz und ein wenig frivole Lust hat er in diese Takte gesetzt, denen dann aber doch ein dunkler Schlag und stumme Finsternis das allfällige Ende bereiten. Verhaltener Applaus für die Regie und für die Sänger, die ihre Arbeit ordentlich, aber ohne Bravour erledigten. Ein Bravo auf die Musiker des Ensemble Modern. Und nicht enden wollende Anerkennung für Hans Werner Henze, der sich am Donnerstagabend gelassen feiern lassen durfte.

„Phaedra“, Staatsoper Unter den Linden, wieder am 8./9./10. September