MAROKKOS KÖNIG SPIELT DEMOKRATIE – ABER KEINER MACHT MEHR MIT
: Die wahre Opposition bleibt zu Hause

Noch nie war die Stimmenthaltung bei Wahlen in Marokko so hoch wie am vergangenen Freitag. 63 Prozent der Wähler und Wählerinnen blieben zu Hause. Das sind die offiziellen Zahlen. In Wirklichkeit dürfte die Zahl noch viel höher liegen, denn keiner weiß genau, wie viele Menschen gar nicht im Wahlregister aufgeführt sind.

Marokkos Bevölkerung hat genug von einer Scheindemokratie, in der alle Macht vom König ausgeht. Mohammed VI. besetzt den Posten des Premierministers und mehrerer Schlüsselministerien. Sie sind nur ihm und sonst niemandem Rechenschaft schuldig. Die meisten großen Betriebe des Landes gehören der königlichen Familie. Das Aktienpaket, das Mohammed VI. in Marokko hält, wird auf 60 Prozent der Börse von Casablanca geschätzt. Ähnlich wie bereits im April im Nachbarland Algerien, zog die Bevölkerung jetzt den Schluss, gar nicht erst an die Urnen zu gehen.

Das Parlament gilt den Marokkanern als „Register für die Ideen des Königs“; gleichzeitig dient es dem Monarchen als Puffer. Regt sich Unmut in der Bevölkerung ob unsozialer Maßnahmen und Misswirtschaft, dann ist die Volksvertretung schuld. Erfolge hingegen verbucht der König direkt für sich.

Dass auch die islamistische PJD die Unzufriedenheit der Marokkaner nicht für sich vereinnahmen konnte, zeigt, dass immer mehr Menschen dieses Spiel durchschauen. Die Marokkaner haben begriffen, dass es dank der Allmacht des Königs egal ist, wer letztlich in der Regierungskoalition sitzt, zumal die PJD in der Wirtschaftspolitik genauso liberal eingestellt ist wie die meisten weltlichen Parteien.

„Die königliche Mehrheit und die königliche Opposition“, so lautet eines der Schlagwörter, mit dem diejenigen argumentierten, die erst gar nicht an den Wahlen teilnahmen. Sie sind die eigentlichen Gewinner, allen voran die größte islamistische Organisation Marokkos, Al-Adl wal-Ishan.

Als einzige traut sich die illegale, aber geduldete Organisation, den König frontal anzugehen. Sie spricht ihm nicht nur die Legitimität ab, der Führer alles Gläubigen zu sein. Die Kritik der streitbaren Massenbewegung um Nadia Yassine geht weiter. Sie verlangt sogar eine Republik, in der alle Macht vom Volke ausgeht.

Wen verwundert es, dass diese Haltung in Marokko auf Sympathie stößt? Europa aber lässt die Menschen in Marokko mit ihrer Unzufriedenheit allein. König Mohammed VI. wird als Garant für die Stabilität der Region angesehen – und diejenigen, die echte Demokratie fordern, werden als zu radikal abgestempelt. REINER WANDLER