Die Schande kommt, die Schande geht

BUSINESS Scheitern als Chance? Zumindest hat der was zu erzählen, der schon mal wirtschaftlich auf die Nase gefallen ist. Die „Fuck Up Night“ präsentiert sich als aufmunternde Schau des Misserfolgs

„3 Millionen Umsatz gehabt. Trotzdem versemmelt, und das dann meiner Mutter erklären …“

HOLGER IN’T VELD, GESCHEITERTER SCHOKOLADENEXPERTE

VON HELMUT HÖGE

Am Donnerstagabend fand im Kreuzberger Rainmaking Loft, einem Coworking Space für die Start-up-Szene, die zweite Berliner „Fuck Up Night“ statt. Es ging wieder um wirtschaftliche „Niederlagen“, die laut den drei jungen Veranstaltern „noch nie so geächtet waren wie heute“.

Das Gegenteil ist wahr: In Amerika soll das geschäftliche Scheitern geradezu Einstellungsvoraussetzung bei IT-Firmen sein. Überhaupt gilt man dort nicht viel, wenn man nicht mindestens fünf Start-ups in den Sand gesetzt hat, während man in Deutschland schon mal bei einem Berufswechsel als halber Verlierer dastand. Das gilt aber seit der Wende nicht mehr: Das Insolvenzrecht wurde geändert, und es hat sich bis zu den Coaches der Jobcenter herumgesprochen, dass von 10 Existenzgründungen 11 scheitern.

Nicht zuletzt sind die sehr gut besuchten Fuck Up Nights, die es mittlerweile bereits in 80 Städten überall in der Welt gibt, und ihre ebenfalls erfolgreiche Berliner Vorgängerin, die „Show des Scheiterns“, bereits Indiz dafür, dass immer mehr (junge) Leute finden, Existenzcrashs würden sie etwas angehen.

Persönliches, Peinliches

Diesmal begann es im Rainmaking Loft mit „Vorsicht Kamera“-Clips der brutalen Art: Leute stürzten von Klippen, liefen gegen die Wand, zerschellten mit ihren Autos. Das Publikum, es sah aus wie das in Nordneuköllner Kneipen, lachte über diese Szenen, die sich wie eine Werbung für den Darwin Award guckten, dazu gab es das lustige Lied „Die Schande kommt, die Schande geht!“. Aber dann wurde es ernst, es ging um Persönliches und Peinliches, denn wenn die Pleite droht, wird man leicht brutal und hässlich. Aber das jetzt auf einer Bühne unterhaltsam zu erzählen ist schwierig.

Als Erster versuchte es der Schokoladen-Spezialist Holger In’t Veld (den man auch noch als Spex-Autor kennt). Er stützte seine Geschichte mit Dias und einem Clip ab. Er zeigte, wie sein Schokoladenladen in Prenzlauer Berg explodierte. Immer wieder mietete er neue Läden für Herstellung und Verkauf von Schokolade. Die Geschäfte gingen gut: „Irgendwann war ich richtig geil“, bekannte er, „habe viel Geld ausgegeben, eine teure Wohnung gekauft, eine AG gegründet.“ Eine Kneipe wollte er auch noch haben, „aber das alles war nicht zu finanzieren: 500.000 Euro Minus, Insolvenz beantragt. Meine Läden haben 3 Millionen Umsatz gehabt. Trotzdem versemmelt, und das dann meiner Mutter erklären …“ Aber Holger In’t Veld tröstete sich und das Publikum: „Schokoladenladen – schon das Wort ist doch Scheiße!“

Den nächsten „Misserfolg“ erzählte – ebenfalls lichtbildgestützt – der „Lifestyle-Kommunikator“ Mo Drescher: Er hat nichts anderes gelernt, als Werbung zu machen, für große Firmen wie Mercedes und Lucky Strike, erst als Angestellter und dann als Freelancer. Dann hatte er selber Angestellte. „Ich wollte Kohle machen, das war mein größter Fehler – und keine Ahnung von Finanzen zu haben.“ Als er eine AG gründete, ging er damit ebenso wie Holger In’t Veld pleite: „Alles Geld weg, 150.000 Euro verloren, schlechte Laune! Und dann war auch noch die Staatsanwaltschaft involviert.“

Mittlerweile soll es aber wieder aufwärtsgehen: Mo Drescher hat die „Nachhaltigkeit“ entdeckt und sich da eingearbeitet, die werde seiner Meinung nach wichtig. Und die bewirbt er jetzt. „Ich habe sowieso keine Lust mehr, mit Produkten zu arbeiten“, sagte er. Nun macht er es wie der Frühsozialist Charles Fourier, der wusste: „Je weniger man sich (bei einer leidenschaftlichen Tätigkeit) um den Gewinn kümmert, umso mehr verdient man.“ Heißt in Mo Dreschers Worten: „Eine richtige Kommunikation machen.“

Zuletzt trat die ehemalige Piraten-Politikerin Julia Schramm auf die Bühne – mit Dias und Hut: „Ich war jung und naiv“, so begann sie. 2009 entdeckte sie für sich die Piraten und fand: „Ja, toll, wir verändern jetzt was!“ Nach dem Wahlerfolg der Partei in Berlin trat man an sie heran. „Ich war eine der wenigen, die mehr als drei Sätze sagen können“, erklärte sie ihre Qualifikation. Sie wurde in den Parteivorstand gewählt. Auch ein Verlag zeigte Interesse: Er bot Schramm 100.000 Euro für ein selbst geschriebenes Buch. Das hieß dann „Klick mich“ und versprach „Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin“. Schramm agitierte gegen das Copyright, aber als eine Raubkopie des Buches im Netz erschien, sorgte ihr Verlag dafür, dass die wieder verschwand. Woraufhin ein „Shitstorm gegen die Gier-Piratin“ losging, wie Bild titelte. Bei ihrem Vortrag zeigte es Schramm als Dia. Parteischädigendes Verhalten wurde ihr vorgeworfen, sie sah sich einer Verschwörung alter Männer gegenüber – und trat zurück. Auch die Kommentarfunktion ihres Blogs schaltete sie – „ein Jahr im Dauershitstorm“ – ab. Es ging ihr schlecht. Sie heiratete. Im Zeit-Magazin schrieb Jana Simon: „Sie nervt.“

Immer weitermachen

Auch ich hatte genug von der Fuck Up-Night – und ging, noch vor Schluss. Man kann den sauberen Journalismus auch übertreiben. In einer Raucherkneipe dachte ich über diese seltsame Veranstaltung nach.

Die jetzt in Westdeutschland tourende „Show des Scheiterns“ war noch sehr westberlinerisch – jedes Mal mit einem Experten für Niederlagen auf dem Sofa. Man suhlte sich geradezu im „schöner Scheitern“. In der Fuck Up Night jetzt geht es um „Exitstrategien“, wie der Moderator sich ausdrückte. Also Aufmunterung, um donaldistisch weiterzumachen. Der Schokoladenmann und der Werbemann haben gemein, dass sie nach ihrer Pleite alle „Freunde, Partner und Wegbegleiter“ verloren: „Niemand“, sagte Mo Drescher, „hat sich gemeldet. Gähnende Leere.“ Ähnliches gilt für das Parteiumfeld der „Internet-Exhibitionistin“. Mit was für Leuten haben die sich bloß abgegeben?