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Im Material verbunden

KUNST „Raumschiff Jugoslawien“ – eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Kreuzberg will das Utopische im früheren sozialistischen Staat sichtbar machen

Sie sprechen von einem „Überschuss“, der mit dem Begriff Jugoslawien verbunden ist

VON DORIS AKRAP

Minutenlang arrangieren britische Journalisten eine Großfamilie im Kosovo für ein Foto in ihrem Wohnzimmer. In den kurzen Gesprächsfetzen zwischen Fotograf und Familie erfährt man bruchstückhaft Kriegserlebnisse und Flüchtlingsschicksale. Endlich ist das Bild perfekt, alle sitzen dicht gedrängt zusammen, schauen traurig und unsicher in die Kamera. Und beim Betrachter stellt sich das Gefühl ein: Ja, so kennen wir sie, so sieht eine gebeutelte Kosovo-Familie aus. „How to make a refugee“ heißt das Video des britischen Videofilmers Phil Collins, das diese Szene dokumentiert und so die mediale Inszenierung von Krieg und Opfern thematisiert.

Das Video ist das erste Exponat in der Ausstellung „Raumschiff Jugoslawien“, die seit Samstag in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) gezeigt wird. Die Kuratoren der Ausstellung wollen mit diesem Video nicht nur den fremden Blick auf diese ehemals in einem Staat zusammengefassten Regionen offenlegen, sondern auch ihren eigenen Blick thematisieren. Sie sind sich bewusst, dass auch sie mit dieser Ausstellung einen Zusammenhang konstruieren, der so nicht mehr besteht. Sie sprechen deshalb auch nicht von „Exjugoslawien“, denn von Yugo-Nostalgie, wie sie derzeit en vogue ist, wollen sie sich ebenso distanzieren wie von der Verurteilung des ehemaligen sozialistischen Projekts als Totalitarismus.

Sie sprechen von „Jugoslawien“, da es ihnen nicht um den territorial begrenzten Staat geht, sondern um Utopien und Ideen, die innerhalb dieses real existierenden transnationalen Projekts entstanden und heute weitgehend vergessen sind. Sie sprechen von einem „Überschuss“, der mit dem Begriff Jugoslawien verbunden ist und in dem sie emanzipatorisches Potenzial sehen, das sie freilegen wollen. Die Kuratoren, eine Gruppe von Kunststudenten aus Berlin und Bremen, haben den Staat Jugoslawien nur als Kinder erlebt und beschreiben sich deshalb als Unwissende, die nach zweijährigen Diskussionen, Archivrecherchen und Reisen durch das ehemalige Jugoslawien nun Künstler präsentieren, die für sie diesen jugoslawischen Überschuss in Videoarbeiten, Performances, Fotografien, Installationen und Aktionen transportieren. Begleitend zur Ausstellung zeigt das Kino Arsenal herausragende Partisanenfilme und Beispiele des „Neuen Jugoslawischen Films“ sowie die neue Videoarbeit „In Krieg und Revolution“ der Künstlerin Ana Bilankov, die sich auf die Suche nach dem Schulbuch ihrer Großeltern gemacht hat und die persönliche wie kollektive Amnesie während der 1990er Jahre in Kroatien thematisiert.

In der Ausstellung wird schnell deutlich, dass der utopische Überschuss von den meisten Bewohnern dieser Region heute eher als jugoslawischer Ausschuss behandelt wird. Schön dokumentiert ist das in den Arbeiten von Marko Krojac und Marijan Crtalic. Krojac bereist seit Jahren die Region, um die Überreste der modernistischen Partisanendenkmäler zu fotografieren. Die einzigartige Denkmalarchitektur Jugoslawiens verrottet, wird von Edelmetalldieben demontiert oder liegt, in Einzelteile gesprengt, herum. Wie Wrackteile eines zerschellten Raumschiffs ragen die Beton- und Eisenreste aus wilden Hecken, wie Findlinge liegen sie auf Betonplätzen. Dabei lässt sich selbst in diesen Resten erkennen, wie experimentell und utopisch die jugoslawische Denkmalarchitektur war.

Auch die Arbeit des Zagreber Künstlers Marijan Crtalics besteht darin, Kunstwerke, auf denen heute Kinder spielen, Liebesschwüre eingeritzt werden und die von Spucke und Kaugummis übersät sind, zu dokumentieren. Er kartografiert die Eisenskulpturen der kroatischen Stadt Sisak, in der Crtalic geboren und aufgewachsen ist. Zwischen 1971 und 1990 bildete sich um die berühmte Eisenfabrik der Stadt eine Künstlerkolonie, in der 200 berühmte Künstler des Landes über 2.000 Kunstwerke aus dem Material der Fabrik fertigten, die an öffentlichen Plätzen der Stadt aufgestellt wurden. Crtalic hat noch 30 Skulpturen gefunden und auf einer alten Fotografie des Fabrik- und Koloniegeländes, das heute weitgehend zerstört ist, kartografiert. Crtalic will an die Kunst erinnern und an den damaligen Versuch, den Künstler mit dem Arbeiter im Material zu verbinden. Künstlerische Ausschussware, die politisch wiederbelebt werden kann, gibt es auch in Berlin. Der in Zagreb lebende Künstler Igor Grubic hängte im Rahmen seiner „366 Rituale der Befreiung“ am Treptower Ehrenmal ein Transparent mit einem Zitat von Majakowski auf: „Wir schlagen den Mythos apolitischer Kunst in Stücke“.

Ein weiteres Transparent hängt an der Fassade der NGBK, „No More Yugoslavs“ steht darauf. Es ist Teil der Installation „The Blind Spot“ von Damir Radovic. Irgendein Passant hat jedoch von Samstag auf Sonntag das „No“ abgerissen, sodass jetzt nur noch „More Jugoslavs“ zu lesen ist. Die Intention der Kuratorinnen scheint also bereits aufgegangen.

■ NGBK: „Raumschiff Jugoslawien“. Bis 30. Oktober, tägl. 12–19 Uhr, Do.–Sa. 12–20 Uhr

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