Freundliches Kind wurde zum Attentäter

Der Selbstmordattentäter, dessen Tat am Samstag in Algerien 30 Tote forderte, war erst 15 Jahre alt

MADRID taz ■ Die Belkacimes sind schockiert. Seit drei Monaten hatte die Familie aus Bachdjarah, einem Vorort der algerischen Hauptstadt Algier, nichts von ihrem 15-jährigen Sohn Nabil gehört. Jetzt ist er wieder aufgetaucht – in einem Bekennervideo der al-Qaida im muslimischen Maghreb.

Die Bilder zeigen ihn lachend, in Uniform mit Turban, Kalaschnikoff und Sprechfunkgerät. Unter dem Kampfnamen Abu Mussab al-Sarkawi – dem Namen des im Irak gefallen Al-Qaida-Anführers – soll er am vergangenen Samstag einen mit 800 Kilogramm Sprengstoff beladenen Lieferwagen in eine Militärkaserne in Dellys, unweit von Algier, gelenkt haben. Bei der Explosion kamen 30 Marinesoldaten ums Leben.

„Er war der ruhigste unserer Söhne“, erklärte die Mutter von Nabil gegenüber der algerischen Tageszeitung al-Watan. Auch die befragten Nachbarn sprechen von einem „normalen Jungen“, der immer höflich gewesen sei und im Stadtteil als begeisterter Hobbyfußballer bekannt war. Er habe weder über Politik gesprochen, noch sei er durch übermäßigen religiösen Eifer aufgefallen. Der Junge habe Musik gehört, ferngesehen und sei gerne mit Freunden ausgegangen.

Nabil verschwand im Juni, zehn Tage vor der Abschlussprüfung der Mittelschule. „Er hatte begonnen, die Moschee Apreuval in Kouba zu aufzusuchen“, erinnert sich die Mutter. In diesem Stadtteil von Algier entstand einst die Islamische Heilsfront (FIS). „Einmal hat er in der Moschee übernachtet, und danach ist er für immer verschwunden.“ Die Mutter glaubt nicht daran, dass Nabil freiwillig zum Selbstmordattentäter wurde. Denn er rief sie nach seinem Verschwinden an: „Mama, ich habe Angst. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich will abhauen, aber ich befürchte, dass sie dann euch töten werden“, habe er am Telefon gesagt, bevor er schnell auflegte.

In dem Video bekennt sich al-Qaida auch zu dem Anschlag in Batna, bei dem sich am vergangenen Donnerstag ein Selbstmordattentäter in der auf Präsident Abdelaziz Bouteflika wartenden Menge in die Luft sprengte und dabei 22 Menschen mit in den Tod riss. Jedoch schweigen sich die radikalen Islamisten darüber aus, wer die zweite Person war, die zusammen mit Nabil im Lieferwagen saß.

Bereits im April, als 32 Menschen durch drei Autobomben vor dem Regierungspalast und einem Polizeirevier in Algier ums Leben kamen, wurden Zweifel daran laut, dass die Fahrer sich aus freien Stücken mit in die Luft gesprengt hatten. Das Innenministerium gab damals bekannt, dass die Pkws mit einem Zünder ausgestattet gewesen seien, der per Fernbedienung aktiviert werden konnte.

REINER WANDLER