Neue Brille, aber nur wenig Klarheit

AUSSENPOLITIK Bei seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung versteckte sich Westerwelle hinter dem Nahostquartett. Doch mit ihrer Haltung zu Palästina hat die Bundesregierung Europa tief gespalten

Bei der Suche nach einem Kompromiss drückt Deutschland auf die Bremse

BERLIN taz | Wenn etwas in Erinnerung bleiben sollte von Guido Westerwelles Auftritt vor der UNO-Vollversammlung am Montag, dann dürfte es seine neue Brille sein. Es ist ein eckiges, kantiges Modell, das seinem Gesicht stärkere Konturen verleiht. Von seiner Rede kann man das nicht behaupten. Die Konturen der deutschen Nahostpolitik blitzten darin nur unscharf auf. Das aber war volle Absicht.

Einerseits betonte der deutsche Außenminister in seiner 20-minütigen Ansprache, auch Deutschland unterstütze die Gründung eines palästinensischen Staats, „der unabhängig, souverän, zusammenhängend, demokratisch und politisch wie wirtschaftlich lebensfähig ist“ – und das auch „nicht irgendwann, in einer unbestimmten Zukunft“, sondern möglichst bald. Andererseits erhob Westerwelle die Sicherheit Israels zur „Staatsräson“ seines Landes, während er über die fehlende Sicherheit der Palästinenser unter israelischer Besatzung kein Wort verlor.

Der zentralen Frage, wie sich Deutschland konkret zum Antrag der Palästinenser verhalten will, wich Westerwelle bewusst aus. Eine Vollmitgliedschaft Palästinas in der UNO lehnt die Bundesregierung ab, so viel hat die Kanzlerin schon im Mai klargemacht. Wie genau Deutschland sich im UN-Sicherheitsrat verhält, wenn es darüber zu einem Schwur kommt, ob es dagegen stimmt oder sich mal wieder enthält, ließ Westerwelle bislang aber offen.

Vorerst kommt Deutschland um das Dilemma herum, im UN-Sicherheitsrat Farbe bekennen zu müssen. Bis zu einer Abstimmung dort könnten Monate vergehen. In seiner Rede versteckte sich Westerwelle deshalb hinter der Erklärung des Nahostquartetts, bestehend aus den USA, Russland, der UNO und der EU, das am Freitag einen ambitionierten Zeitplan für neue Friedensverhandlungen vorgelegt hatte. Viele Beobachter halten den für unrealistisch, weil er offenlässt, wie man Israels Regierung zu echten Zugeständnissen bewegen will. Ohne die aber sieht Israel in solchen „Friedensverhandlungen“, wie die Erfahrung lehrt, wenig mehr als ein nützliches Ablenkungsmanöver, um mit dem Siedlungsbau und seinem Besatzungsregime ungebremst fortzufahren.

Bestenfalls halb voll waren die Ränge in der UNO-Vollversammlung, als Guido Westerwelle dort am Montag sprach – nach den Rednern aus Laos, China und Marokko. Immerhin titulierte ihn der Sitzungsleiter irrtümlich als „Vizekanzler“. Dabei war es gerade der Tatsache geschuldet, dass Westerwelle dieses Amt verloren hat, warum er auf der Rednerliste so weit nach hinten gerutscht war. Wäre Angela Merkel nach New York gereist, hätte sie viel früher sprechen können.

Doch das deutsche Understatement ist gewollt. Obwohl Deutschland im Nahostkonflikt eine wichtige Rolle spielt, zumal es derzeit als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat sitzt, versucht Westerwelle mit betonter Zurückhaltung zu verbergen, dass die Deutschen die Europäische Union bereits tief gespalten haben. Frankreich, Großbritannien und Spanien betrachten die Pläne der Palästinenser mit Sympathie. Deutschland, Tschechien und die Niederlande dagegen lehnen sie ab.

Schon bei dem gescheiterten Versuch, den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas davon abzuhalten, einen Antrag auf Vollmitgliedschaft zu stellen, war Deutschland eine treibende Kraft. Auch bei der Suche nach einem möglichen Kompromiss drückt es jetzt wieder auf die Bremse. Selbst auf eine Aufwertung Palästinas zum „Nichtmitgliedstaat“, für die sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in seiner Rede am Mittwoch an gleicher Stelle starkgemacht hatte und die viele EU-Partner unterstützen, ging Westerwelle mit keiner Silbe ein.

Israel befürchtet, dass schon diese Statusveränderung die Palästinenser in die Lage versetzen könnte, etwa vor dem Internationalen Gerichtshof gegen sein Besatzungsregime zu klagen. Deutschland teilt diese israelischen Sorgen offenbar. Auch diese Position könnte man, wie es in der Debatte um die deutschen Enthaltung im Libyen-Konflikt geschehen ist, als einen „Sonderweg“ bezeichnen. Nur fällt er bislang noch nicht so stark auf.

DANIEL BAX