Senat bestreitet Pflegeskandal

Die Betreuung von Senioren in Hamburg sei gut, sagt Sozialsenatorin Schnieber-Jastram (CDU). Ein kritischer Bericht der Krankenkassen führe in die Irre. Experten zufolge fehlen 2.000 Mitarbeiter

VON ELKE SPANNER

Die Zahlen des Skandals sind für Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram Zahlen falscher Maßstäbe. „Die Pflegesituation in Hamburg“, sagte sie gestern, „ist gut.“ Zwar würden überall dort, wo Menschen arbeiten, „auch Fehler passieren“. Insgesamt aber sei der Standard in Heimen und bei ambulanten Diensten in den vergangenen Jahren erhöht worden. „Der dieser Tage entstandene Eindruck, die Qualität in den Pflegeeinrichtungen sei schlecht, ist falsch“, beteuerte auch der Referatsleiter für Seniorenarbeit, Marco Kellerhof.

Der Eindruck entstand aufgrund der Zahlen, die der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) vor zwei Wochen veröffentlichte. Der MDS kam zu dem Ergebnis, dass bundesweit mehr als ein Drittel aller Heimbewohner nicht ausreichend mit Essen und Getränken versorgt wird. 35 Prozent der bettlägerigen Patienten werden darüber hinaus nicht häufig genug umgebettet und liegen sich wund. In einer Reihe Heime sei die Pflege gesundheitsgefährdend, resümierte MDS-Geschäftsführer Peter Pick.

Die Sozialsenatorin sieht das Problem hingegen weniger in der Qualität der Pflege als in der des MDS-Berichts. Die dort genannten Mängel beruhten überwiegend auf Fehlern bei der Dokumentation. Liege beispielsweise ein Mangel bei der Nahrungsversorgung vor, so bedeute dies, dass nicht notiert worden sei, ob und wann ein Bewohner Essen bekommen habe. „Das heißt noch lange nicht, dass der Bewohner hungern musste“, argumentierte sie. Gerade die Behauptung des MDS, dass rund 70 Prozent aller Heimbewohner angemessen ernährt würden und im Umkehrschluss also 30 Prozent zu wenig zu Essen und Trinken bekämen, sei irreführend, sagte die Senatorin: „Wenn jemand sagt, er will nichts essen oder trinken, kann man ihn nicht zwangsweise ernähren.“

Auch Referatsleiter Kellerhof verwies darauf, dass die Ergebnisse des MDS kein authentisches Bild der tatsächlichen Pflegequalität lieferten. Die Prüfer würden von den Kassen zumeist aufgrund vorliegender Beschwerden in Heime oder zu Pflegediensten geschickt. Deshalb liege von vornherein eine „Negativselektion“ vor.

Kellerhof wies darauf hin, dass alle Hamburger Alten- und Pflegeheime mindestens einmal jährlich überprüft würden, seit 2004 verstärkt ohne vorherige Anmeldung. Auch würden in den Pflegeheimen mehr und besser qualifizierte Alten- und Krankenpfleger arbeiten als noch unter der rot-grünen Regierung: Seit 1997 sei der Personalschlüssel um sieben Prozent verbessert worden.

Insbesondere die Einschätzung, dass die Personalsituation in den Hamburger Heimen gut sei, deckt sich nicht mit der Beurteilung der Träger. Experten schätzen, dass rund 2.000 examinierte Pflegekräfte fehlen. „Wir müssen dringend etwas ändern, sonst droht der Kollaps“, sagte nach Veröffentlichung des MDS-Berichtes Stefan Rehm, Vorstandsmitglied der Diakonie.

Dabei brauchen derzeit sogar mehrere hundert ausgebildete Pflegekräfte einen neuen Job: All die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die dem Klinikkonzern Asklepios den Rücken kehren und zur Stadt als Arbeitgeber zurückkehren. Diese muss für die Fachkräfte Stellen finden. Ihre eigenen Pflegeheime hat sie aber längst verkauft.