Zu Markte tragen

Im Oktober soll in Berlin und Brandenburg eine „Regionalmarke“ für Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion eingeführt werden. Denn trotz des Ökobooms haben es landwirtschaftliche Waren aus der näheren Umgebung bis heute schwer

VON HARTWIG BERGER

Kann unsere Region von München lernen? Seit einigen Jahren gibt es in und um die bayerische Metropole eine Gegenbewegung zur eingeflogenen Nahrung aus aller Welt. Immer mehr Ladenketten bieten Kartoffeln, Gemüse, Brot oder Fleischwaren aus der ländlichen Nachbarschaft an. Unterstützt von Umweltverbänden, Kirchen und lokalen Netzwerken sind das Produkte, die gentechnikfrei, überwiegend ohne Pestizide oder in artgerechter Tierhaltung hergestellt werden. Die Lieferanten haben sich zu sozialen Arbeitsbedingungen und zu landschaftserhaltenden Maßnahmen verpflichtet.

„UNSER LAND“ nennt sich die Regionalmarke, die inzwischen auf über 50 Produkten klebt und die in mehr als 500 Münchner Läden angeboten wird. Absatzprobleme gibt es nicht, allerdings sind die Kartoffeln oder Gurkengläser oft sehr schnell ausverkauft. Ab Oktober dieses Jahres soll auch in Brandenburg-Berlin eine Regionalmarke eingeführt werden. Die Verflechtung der Erzeuger und Konsumenten ist hier besonders schwach. Vor al- lem Kleinbauern bleiben häufig auf ihren Produkten sitzen, weil die Handelsketten die Preise drücken, große Kontingente und kontinuierliche Lieferung erwarten. Kleinproduzenten sind da in der Regel überfordert.

Auch der ökologische Anbau, der in Brandenburg 10 Prozent der Fläche bewirtschaftet, kann den boomenden Berliner Ökomarkt nur zum Teil nutzen. Äpfel aus Neuseeland, Honig aus Brasilien und Paprika aus Ecuador sind in Biosupermärkten keine exotischen Ausnahmen mehr. Waren aus der näheren Umgebung hingegen fallen wenig ins Gewicht. Die Romantik der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft ist inzwischen Vergangenheit. Die zumeist sehr gesuchten Stände regionaler Erzeuger auf den Wochenmärkte können diese Lücke nicht füllen. Zu gering ist der Anteil der Käufer, die auf Märkten kaufen, geschweige denn dort nach Bauern aus dem Umland Ausschau halten.

Eine Initiative zur regionalen Vermarktung wird damit nicht umhinkommen, die Unterstützung großer Handelsketten zu suchen. In Berlin ist dazu die Kette Kaiser/Tengelmann mit ihren rund 150 Läden bereit. Dieser Konzern steht in harter Konkurrenz zu den Billigmärkten und muss sich daher in puncto Qualität etwas einfallen lassen. So erklärt sich seine Bereitschaft, in seinen Geschäften ab 1. Oktober Sonderregale für Regionalprodukte einzurichten. Kaiser/Tengelmann verpflichtet sich dabei zu existenzsichernden Preisen im Ankauf und sichert hohe Toleranz bezüglich Lieferumfang und Lieferfähigkeit zu. Im Gegenzug behält sich das Unternehmen vor, die Regionalmarke exklusiv gegenüber anderen großen Handelsketten – mit Ausnahme der MEMA-Supermärkte – zu halten. Einzelgeschäfte, Marktstände und Handelsketten in Brandenburg sollen die Marke nach drei Jahren ebenfalls nutzen können.

„Regional“ ist noch kein Wertzeichen, wenn sich dahinter auch Genfood, Massentierhaltung oder unsoziale Unternehmenspraktiken verbergen können. Daher haben verschiedene Akteure – wie die Vereine Berlin 21 und Brandenburg 21 – weitere Kriterien ausgehandelt. Wer an Oder, Spree oder Havel die Wertmarke auf seine Butter oder Würstchen klebt, muss auch in der intensiven Landwirtschaft abrüsten, darf keine Hühnerkäfige oder Schweinekasernen halten, muss Futter und Vorprodukte überwiegend aus der Region beziehen und soll sich in sozialem und ökologischem Engagement exemplarisch hervortun.

Machen wir uns nichts vor: Die Zusammenarbeit mit einer Handelskette wird kontrovers sein, ebenso ihr Exklusivitätsanspruch für drei Jahre. Auch stellt sich die Frage, ob die Propagierung einer Regionalmarke nicht Kunden von den Märkten abzieht und damit Kleinproduzenten schadet, die ihre Waren direkt anbieten, um nicht vom Zwischenhandel erwürgt zu werden. Und schließlich stellt sich auch der Regionalbewegung die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem „Bio“? Zu diesen Streitpunkten laden wir am 27. September zur Debatte.

Hartwig Berger, früher für Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, ist heute Mitglied des Vorstandes von Berlin 21 e. V.. Am 27. September findet die Auftaktveranstaltung zum Start einer Regionalmarke für Brandenburg und Berlin ab 16 Uhr im Ludwig Erhard Haus, Fasanenstr. 85, 10623 Berlin, statt