Rahmenbedingungen schaffen

Internationale Vereinbarungen über Sozialstandards sind nicht nur fair, sondern auch ein Verkaufsargument für Konzerne. In der Autoindustrie wurde das bereits erkannt. Doch die Standards sind bislang nur freiwillig und nicht für alle Akteure bindend

VON MIRKO HEINEMANN

Als „Meilenstein“ wurde der Tag bejubelt, als VW im Juni 2002 als erster Autokonzern der Welt soziale Mindeststandards für alle Beschäftigten festlegte. Die Unterzeichnung der „Sozialcharta“ des Unternehmens im slowakischen Bratislava wurde aufmerksam von der Weltpresse verfolgt. „Global tätige Konzerne können ihre Belegschaft in Europa nicht anders behandeln als in den USA oder in Süd- und Mittelamerika“, erklärte der damalige VW-Personalvorstand Peter Hartz.

In der Charta wurde unter anderem das Recht der Arbeitnehmer auf Bildung von Betriebsräten festgeschrieben sowie die Chancengleichheit der Beschäftigten, unabhängig von Geschlecht, Religion und sozialer Herkunft, betont. Als schlagkräftiges Argument für die Charta unterstrich der Konzern, dass Autokäufer zunehmend soziales Engagement der Unternehmen honorieren würden. Die Sozialcharta sei deshalb ein zusätzliches Argument für den Kauf eines Volkswagens.

Fünf Jahre später sind es vermutlich immer noch recht wenige Autokäufer, die sich dafür interessieren, unter welchen Bedingungen ihr Auto gefertigt wurde. Während in anderen Branchen, zum Beispiel bei Textil und Nahrungsmittel, die Kunden eine tragende Rolle in der Fairnessdebatte spielen, sind es in der Autoindustrie die traditionell starken Gewerkschaften, die die Gleichbehandlung ihrer Kollegen im Ausland erstritten haben. So haben inzwischen beinahe alle Autofabrikanten und großen Zulieferer in Deutschland eine Internationale Rahmenvereinbarung unterzeichnet, darunter Volkswagen, DaimlerChrysler, BMW, General Motors Europe und Ford Europa.

Gleichzeitig zeigen Umfrageergebnisse, dass die Mehrheit der Deutschen verbindliche Regeln für multinationale Konzerne fordert. So ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Globe Scan vom Sommer 2005, dass 74 Prozent aller Deutschen eine stärkere staatliche Regulierung zugunsten von Arbeitnehmerrechten bei international operierenden Konzernen wünschten.

Noch gibt es solche internationalen Regeln freilich nicht. Was immer geschieht, geschieht auf freiwilliger Basis: b ein Unternehmen zum Beispiel dem Global Compact der Vereinten Nationen beitritt und sich damit zur Einhaltung von Sozialstandards verpflichtet; oder ob es den Leitsätzen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) folgt, die 1998 erstmals Empfehlungen für international tätige Konzerne ausgesprochen hat. In ihrem Inhalt entsprechen die OECD-Richtlinien etwa den Rahmenvereinbarungen und den Global-Compact-Regeln. Die Hauptpunkte: Einhaltung der Menschenrechte im Betrieb, Ermöglichung von Mitbestimmung, die rechtzeitige Information der Arbeitnehmer vor einschneidenden Veränderungen wie zum Beispiel Werkschließungen, keine Duldung von Kinderarbeit.

Kontrollorgane gibt es nicht, das Grundprinzip ist die freiwillige Selbstkontrolle. Das kritisiert Jürgen Peters, Präsident des Internationalen Metallgewerkschaftsbunds (IMB). Zwar seien die Internationalen Rahmenvereinbarungen mit ihrer Verbindlichkeit ein „deutlicher Fortschritt gegenüber freiwilligen Verhaltenskodizes der Unternehmen“, so Peters, doch soziale Standards, die in Deutschland selbstverständlich sind, „wandern nicht mit den Arbeitsplätzen auf die andere Seite des Globus. Sie müssen immer wieder von den Arbeitnehmervertretern neu erkämpft werden.“

Was zunehmend auch geschieht. Doch die Kontrolle stellt sich schwieriger dar, als man denkt. „So ist es für uns wichtig, dass auch die Zulieferer vor Ort die Rahmenvereinbarungen einhalten“, sagt Ingrid Gier, Pressesprecherin der IG Metall. Und da, speziell in der weit verzweigten Struktur der Autoindustrie, sei Kontrolle schwierig. „Die Betriebsräte bekommen ja nicht jeden Geschäftsvertrag zu sehen.“

Nicht berücksichtigt wird in den Rahmenvereinbarungen, welche Folgen sich für die Bevölkerung an den Standorten von Autofabriken ergeben. Da heißt es zum Beispiel bei VW, die globale soziale Verantwortung ende nicht an den Unternehmensgrenzen. Volkswagen verstehe sich „als Partner der Standorte und der Regionen.“ So unterstütze und initiiere Volkswagen in Mittel- und Lateinamerika Gründerwettbewerbe, Bildungsinitiativen und Straßenkinderprojekte sowie in Südafrika und Brasilien Projekte zur Gesundheitsförderung. Ein guter Ansatz, doch fehlen auch hier sowohl Regeln wie Kontrollmechanismen. Zumindest setzt sich langsam die Erkenntnis durch: Unternehmen tragen soziale Verantwortung, und das weltweit.