„Jeder Skandal hilft“

Das Düsseldorfer Fair-Trade-Fachgeschäft El Martin setzt auf Bioqualität, Professionalität und die Geschichte hinter den Produkten. Der Chef kommt von „Kaufhof“ und macht die weit verbreitete Ehrenamtlichkeit im Weltladenmilieu als Hemmschuh für die weitere Expansion des Fairen Handels aus

VON STEFFEN GRIMBERG

Die Nordstraße im Düsseldorfer Ortsteil Pempelfort ist nicht die mondäne Königsallee, sondern bürgerlich im besten Sinne. Doch El Martin befindet sich hier in bester Gesellschaft: Ein Biosupermarkt und ein Reformhaus flankieren das Fachgeschäft für fairen Handel.

Drinnen dominieren helles Holz und eine im Vergleich zu klassischen Eine-Welt-Läden schon beinahe edel-schicke Aufmachung. Denn Inhaber Martin Lessing will sich ganz bewusst abheben: „Die Leute sollen gar nicht in erster Linie kommen, weil sie im Fair-Handelsgeschäft einkaufen, sondern wegen der hochwertigen Produkte.“ Er will klar weg von der „Mitleidsschiene“, die den fairen Handel seiner Meinung nach noch immer zu stark umgibt: „Es geht um Professionalität, im Verkauf wie bei den Lieferanten – und vor allem um ein hochwertiges Angebot“, sagt Lessing, der zuvor elf Jahre als Controller bei Kaufhof arbeitete. Bei der zum deutschen Einzelhandelsriesen Metro gehörenden Warenhauskette sah der 39-Jährige, der sich schon länger ehrenamtlich in Sachen Fair Trade engagierte, aber kaum Chancen, seine Handelsvisionen zu verwirklichen. Zudem liefen auch die Geschäfte für den Kaufhof nicht wirklich rund. Lessing: „Elf Jahre Umsatzverluste zu bilanzieren macht irgendwann keinen Spaß mehr.“

Und so sagte er vor zwei Jahren dem Konzern Adieu und machte nur wenige Monate später El Martin auf: den einzigen Profiladen für fairen Handel in Düsseldorf. Es gibt überhaupt wenige deutschlandweit – noch ist der faire Handel fest in ehrenamtlicher Hand. Bei El Martin arbeiten neben Lessing noch drei Teilzeitkräfte. „Kundenfreundliche Öffnungszeiten, ausgefallene Angebote und geschultes Personal“ macht er als Vorteile seines Konzepts aus. Der Trend geht dabei klar in Richtung höherwertiger Produkte: Der Wildkaffee aus Äthiopien, der ursprünglichen Heimat des Heißgetränks, ist zwar nicht billig, aber ein Renner. Lessing spricht denn auch lieber von Genuss- als von simplen Lebensmitteln. Von der fair gehandelten Zotter-Schokolade, deren kühne Aromen von Sellerie, Trüffel und Portwein bis zu Biobier oder Zitronenpolenta reichen, bietet sein Geschäft denn auch das Vollsortiment.

Doch nicht nur solch ausgefallenen Angebote locken die Kunden: „Wir verkaufen Produkte mit Geschichte“, sagt Lessing – „bei uns stehen individuelle Menschen dahinter, Mitglieder der Kooperativen, die zum Beispiel den Kaffee anbauen.“ Und seine Kunden interessierten sich mehr und mehr für die Story zum Produkt: „Ich drucke Ihnen das mal eben aus“, heißt es dann beispielsweise, wenn wieder einmal jemand alles über die fair gehandelten Sneakers wissen will, die El Martin seit Oktober 2006 im Angebot hat.

Das Konzept lautet „100 Prozent fair“ – alle Lieferanten müssen in die Produzentenliste des Weltladen-Dachverbands eingetragen sein. Nur in der großen Weltmusikabteilung finden sich ein paar „im harten Sinne nicht fair gehandelte“ CDs. Dafür verkauft El Martin schon heute in Düsseldorf nach dem Musikkaufhaus Saturn die meisten Scheiben des Weltmusiklabels Putumayo.

Alles also bestens? Nicht ganz: Gewinn macht sein Laden derzeit noch nicht, wie Lessing ohne Umschweife bestätigt. Er hat ohnehin noch ein zweites Standbein als Anlageberater für nachhaltiges Investment: „Eine ideale Kombination.“ Übertriebene Euphorie ist Lessings Sache dabei nicht: In die Zukunft blickt er, ganz der Controller, „mit skeptischem Optimismus“. Auf der Seite der Lieferanten fehlten oft noch die Professionalität und die Verlässlichkeit, was zum Beispiel Mengen und Fristen angehe. Und der aktuelle Boom im fairen Handel sei eher ein Boom in Sachen Bio: „70 Prozent der fair gehandelten Lebensmittel sind Bioprodukte“, so Lessing. In dieser Kombination liegt für ihn denn auch die Zukunft des fairen Geschäftsmodells. Endvision: in Zukunft auf fair Gehandeltes gar nicht mehr besonders hinweisen zu müssen, weil der faire Handel die Norm und nicht wie heute die Ausnahme darstellt: „Aber das wird noch ein paar Tage dauern“, sagt Lessing und lacht.

Doch „jeder Skandal hilft“, und das sei jetzt bitte nicht als Zynismus misszuverstehen: „Was derzeit aus China für Rückrufaktionen kommen, wundert mich nicht die Bohne.“ Schließlich räche sich der Ruf nach „billig, billig, billig“ irgendwann immer.

Billig ist natürlich auch die Zotter-Schokolade nicht. Doch in diesem einen Punkt gibt sich der ansonsten so auskunftsfreudige wie selbstkritische El-Martin-Chef zugeknöpft. Wie viele Tafeln er so verdrückt? „Kein Kommentar“, sagt Lessing und lacht schon wieder.