Forschen Sie gerne, spielen Sie lieber oder reden Sie erstmal drüber: Wählen Sie Ihren Sextyp!

Das Medienexperiment

Wie soll eine Zeitung an ein Thema herangehen? Zu dieser Frage hat die taz ein Thema gewählt, das als quotenträchtig gilt und das Medien zugleich sehr unterschiedlich bearbeiten: Sex.

Ausgehend von einer Ursprungs-Meldung wurden drei Texte geschrieben. 1. Ein nüchtern-wissenschaftsjournalistischer Bericht. 2. Ein kritisch-kommentierender Beitrag. 3. Eine spielerisch-schräge Version. Welcher Texttyp sind Sie?

Die Ursprungsmeldung:

Umfrage: Sexmangel führt oft zu Arbeitswut München (ap) Wenig Sex, aber umso mehr Arbeit: Menschen, die mit ihrem Sexualleben unzufrieden sind, stürzen sich häufig in Arbeit und übernehmen Ehrenämter, wie die Apotheken Umschau unter Berufung auf eine Studie berichtete. Wissenschaftler der Universität Göttingen nahmen das Sexleben von fast 32.000 Menschen unter die Lupe. Ergebnis: Etwa ein Drittel der Männer und Frauen, die höchstens einmal die Woche Sex hatten, lenken sich mit anderen Aktivitäten ab. Davor aber warnen die Forscher: Durch zu viel Stress und Arbeit bleibe dann noch weniger Zeit für ein befriedigendes Liebesleben.

Die drei Texte wurden bereits auf taz.de zur Abstimmung gestellt. In zwei Tagen gaben 1.007 LeserInnen ihr Votum ab. Ergebnis: Das Rennen machte Version 2, die kritisch-kommentierende Variante: 43 Prozent oder 431 LeserInnen entschieden sich für sie. Danach: Version 1 mit 41 Prozent oder 416. Am Ende: Version 3 mit 16 Prozent oder 160.

1. Wenig Sex sorgt für Stress

Wer viel Stress hat, hat keinen Sex. Die Tatsache haben Wissenschaftler schon oft belegt. Nun haben Forscher der Universität Göttingen die These umgedreht. Sie haben herausgefunden, dass auch zu wenig Sex in der Partnerschaft den Stresspegel erhöht. Ein Befund, der die Wissenschaftler beunruhigt.

Die Mitarbeiter des Projekts Theratalk des Göttinger Instituts für Psychologie befragten ein Jahr lang fast 32.000 Männer und Frauen per Onlinefragebogen. Die Probanden waren zwischen 20 und 69 Jahre alt und lebten in festen Partnerschaften. Auf der Internetseite von Theratalk beantworteten sie Fragen zu ihrem Sexualleben. „Unser Fragebogen hat den Einzelnen die Knackpunkte in der Beziehung gezeigt. Gleichzeitig konnten wir auf diesem Weg sehr viele Menschen erreichen“, sagt der Leiter des Projekts Theratalk, Ragnar Beer, und spricht von „der weltweit größten wissenschaftlichen Studie dieser Art“.

Beer und seine Kollegen fragten nach Häufigkeit und Qualität des Geschlechtsverkehrs, erkundigten sich nach Kuscheln und Küssen, ließen Petting, Vorspiel und Oralsex bewerten und wollten wissen, wie lange die Probanden allein vor dem Fernseher sitzen. Am Ende stand die Frage, ob sich der ein oder andere „in Arbeit/Aktivität“ stürzt, „um weniger frustriert“ über sein Sexleben zu sein. Die Göttinger Forscher bekamen überraschende Antworten.

Sie fanden heraus, dass sich Menschen, die im Bett unzufrieden sind, oft mit Arbeit überhäufen. Sie klettern die Karriereleiter hinauf, übernehmen Ehrenämter oder engagieren sich im örtlichen Sportverein. “Die Leute wollen den Frust über ihr Sexleben in der Partnerschaft mit Hilfe von Alternativaktivitäten vergessen“, sagt Beer. Mehr als ein Drittel der Männer und Frauen, die höchstens einmal in der Woche Sex haben, schlügen diesen Weg ein.

Noch schlimmer wird es, wenn es gar nicht mehr zum Sex kommt. Fast die Hälfte stürzt sich nur allzu bereitwillig in die Arbeit. Wer dagegen mindestens zweimal in der Woche befriedigt wird, legt mehr Wert auf Freizeit: Lediglich 5 Prozent der Männer und Frauen in dieser Gruppe suchen beruflichen und privaten Stress aus freien Stücken.

“Die Zeit, die man zusätzlich bei der Arbeit verbringt, fehlt dann für den Partner“, warnt Beer und ist überzeugt davon, dass sich das weiter negativ auf die sexuelle Zufriedenheit auswirkt. Ein Teufelskreis, dem das Paar nur gemeinsam entkommen kann. „Wie viel Sex jemand braucht, hängt schließlich vom Einzelnen hab. Da müssen die Partner Kompromisse finden“, sagt der Psychotherapeut.

Seit 1996 forscht Beer darüber, „was getan werden kann, damit die Partnerschaft glücklicher wird“. Vor fünf Jahren hat er die Seite Theratalk ins Leben gerufen, die Paaren online Hilfestellung gibt - unter anderem durch Fragebögen. „Mit Hilfe der Onlinetests erkennen wir, wo die Probleme liegen“, sagt Beer, „und für diese Probleme entwickeln wir dann Therapien.“ Weltweit gebe es kaum Forschergruppen, die an Therapien arbeiten. Beer sagt: „International gilt Paarforschung als vollkommen unsexy.“ Petra Kilian

2. Vergesst das Zählen!

Menschen mit einem „unbefriedigenden Sexualleben“ stürzen sich häufig in Arbeit und Ehrenämter - diese Meldung rauschte kürzlich durch die Medien. Sie bezog sich auf eine Onlineumfrage von Wissenschaftlern der Universität Göttingen. Etwa ein Drittel der Männer und Frauen, die in einer Beziehung leben und einmal in der Woche oder noch seltener Sex hatten, versuchte sich mit anderen Aktivitäten abzulenken, hieß es. Da haben wir‘s: Wer im Büro auch noch abends am Bildschirm klebt oder im Tennisverein die Weihnachtsfeier organisiert, ist in Wirklichkeit ein bedauernswerter Sexklemmi! Aber liegen die Dinge wirklich so einfach?

Jedes sechste Paar hatte innerhalb von vier Wochen Befragungszeitraum überhaupt keinen Sex, verlautete aus einer früheren Studie der Göttinger Wissenschaftler. Die Nachricht ist aber nicht traurig, wie man meinen mag, sondern schenkt vielen Paaren göttliche Entlastung. „Dem Himmel sei Dank, ich bin nicht allein“, mögen sich jene denken, die auch keine hohe Sexfrequenz vorweisen können, aber eigentlich ganz glücklich sind mit ihrer Partnerschaft. Und sagen Zahlen nicht ohnehin wenig aus über die Intensität des sexuellen Erlebens?

“Es kommt nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität“, betont der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch. „Ein erregendes und befriedigendes Erlebnis kann der oder dem, die oder der das Glück hatte, seelische Ruhe für viele Monate oder Jahre bereiten.“

Klasse statt Masse: Auf diesem Prinzip beruht immerhin fast die gesamte Weltliteratur der Liebe, bei der das romantische Beben und gerade die Seltenheit des Geschlechtsverkehrs die Geschichte zum Schwingen bringen. Die modernste Version des niedrigfrequenten, aber trotzdem erlebnisstarken Sexlebens stellt die Fernbeziehung dar. Also Liebende, die wegen unterschiedlicher Arbeitsorte oder anderer bedauerlicher Umstände zumeist getrennt sind und sich nur an manchen Wochenenden ganz nahe kommen. Auch sie erreichen vielleicht nur eine Sexfrequenz von zehnmal pro Jahr. Aber welch energetischer Austausch kann dahinterstecken!

Bei der Gleichung „Mehr Sex ist gleich mehr Lebensglück“ winkt auch die deutsche Vereinigung der sogenannten Asexuellen, Aven, nur gelangweilt ab. „Es gibt keine Messtechnik für sexuelle Leistungen“, sagt Aven-Sprecher Maurice Koester. Die selbsterklärten Asexuellen erleben durchaus romantische Gefühle, schlafen mitunter auch mit ihrem Partner, weil dieser es wünscht, haben aber selbst kein eigenes Interesse am Geschlechtsverkehr als solchem. Und wollen deshalb nicht als abartig dastehen.

So weit wie die Asexuellen muss man nicht gehen. Aber immer schon war das Verborgene, Verbotene, das nicht Normgerechte interessanter als umfragekompatibler Sex - also Schluss mit dem Zahlenterror. Barbara Dribbusch

3. Sexkiller - die Praktiken, die Spielzeuge

Sie reagieren sich ab. Knien sich rein. Arbeiten sich aus. Aus Sexnot. Tausende Män-ner und Frauen sitzen nächtelang vorm Computer, fressen Akten, misten die Buchhaltung ihres Tischtennisvereins aus. Weil ihr Sexualleben unerfüllt ist. Wer seine Lust nicht auslebt, stürzt sich in Job oder Ehrenamt, fanden jetzt Sexforscher heraus (Uni Göttingen). 32.000 Männer und Frauen beichteten, wie oft sie Sex mit der Partnerin oder dem Partner haben. In der Gruppe, die es pro Woche einmal oder keinmal macht, sagte ein Drittel: Ja, wir müssen uns mit anderen Aktivitäten ablenken! Was tun sie? Die wichtigsten Sexkiller - und die Sexpraktiken, die Sexspielzeuge.

Power Point: Mit der Präsentationssoftware lässt sich beweisen, dass man seine Kraft nicht nur im Bett einsetzen kann. Schrifttypen aussuchen. Pfeilbilder von links nach rechts wandern lassen. Grafiken mit Musik unterlegen. Vidoes einbauen. Farben noch mal bearbeiten. Danach zur Entspannung: Fehler in Wikipedia ausmerzen. Zwischendurch noch mal die persönliche Homepage checken. Offlinetipp: Alte Dateien prüfen, ob sie gelöscht werden können. Entlastet die Festplatte.

Black & Decker: Sie bauen sich was Schönes für zu Hause. Arbeitsplatte für die Kü-che. Hochbett fürs Kinderzimmer. Werkzeugbank für die Garage. Sie nehmen sich die exakt arbeitende Pendelhubstichsäge mit Laser, polieren mit dem Multischleifer nach und befestigen mit der Kartuschen-heißklebepistole. Härtere Fälle besorgt der 18-Volt-Akku-Schlagbohrschrauber. Gei-les Equipment.

Handy-Headset: Sie machen sich selbständig. Sie sind 24 Stunden mobil er-reichbar, am ergonomischsten funktioniert das per Handy-Headset. Aufträge reinholen, Nachbesserungswünsche von Kunden entgegennehmen, unbezahlten Rechnungen hinterhertelefonieren. Wenn niemand anruft, diskutieren Sie mit Gleichgesinnten das Unternehmenskonzept. Oder mit Partner bzw. Partnerin. Sexgedanken? Hören Sie lieber mal die Mailbox ab.

Beckmann im Bett: Ein Schlafzimmer ohne Sex muss ein Schlafzimmer mit Fernseher sein. Also schließen Sie Ihr Bett an die Welt an. Sie sehen, wie Witta Pohl mit einem Bischof redet. Wie Niki Lauda auf seinen Sohn Mathias stolz ist. Montag, eine Stunde vor Mitternacht. Sie schalten das Erste an: Beckmann stellt Peter Scholl-Latour eine Frage. Auf dem Tisch vor dem 81-Jährigen leuchtet ein Globus, an dem Beckmann beim Reden dreht und dreht. Scholl-Latour lächelt, holt zur nächsten Analyse aus. Sie denken: So habe ich die Welt eigentlich noch nie gesehen. Der schlafende Mensch neben ihnen nimmt keine Notiz.

Aber die Forscher warnen auch: Durch zu viel Ersatz bleibt am Ende gar keine Zeit mehr zum Sex. Ein Teufelskreis. Georg Löwisch