Von Spinnenbeinen zur Sterneküche

ESSKULTUR Der Autor des Romans „Machandels Gabe“ erläutert, warum die Epoche der Französischen Revolution unser Essen bis heute prägt, und plädiert dafür, bürgerliche Beschränkungen am Herd fallen zu lassen

■ lebt in Berlin, hat auch über Schriftsteller und ihre Autos geschrieben.

INTERVIEW LARS KLAASSEN

taz: Herr Geyersbach, Ignaz Machandel kommt Ende des 18. Jahrhunderts in die Küche des Klosters Neuzelle und von da nach Paris, zum berühmtesten Koch seiner Zeit. Sind historische Herdfeuer im Zeitalter der Mikrowelle noch relevant?

Ulf Geyersbach: Der Roman lenkt den Blick auf eine Epoche, die unsere Küche bis heute prägt. Um die Zeit von 1780 bis 1810 ist in Frankreich das entstanden, was wir bis heute unter Gourmetküche verstehen. Erstmals eröffneten Köche, die bis dahin vor allem als Angestellte beim Adel arbeiteten, ihre eigenen Restaurants. Und ein zahlungsfähiges, nun auch bürgerliches, Publikum entschied über den Erfolg. Vieles wurde seitdem weiterentwickelt, aber unsere heutigen kulinarischen Maßstäbe gehen darauf zurück. Diese drei Jahrzehnte sind kulinarisch ähnlich revolutionär wie die Renaissance für die Architektur und die bildenden Künste. Nur weiß das heute kaum noch jemand.

Bevor die eigentliche Handlung des Romans beginnt, zitieren Sie eine Passage aus dem Buch „L’art du cuisinier“, das 1814 erstmals erschienen ist. Sie nennen dabei Ihre Hauptfigur als Autor. Ist Machandel eine historische Figur?

Nein. Das Buch habe ich bei meiner Recherche in der Berliner Staatsbibliothek entdeckt. Autor ist der Pariser Koch Beauvilliers. Bei eben dem lasse ich Machandel eine Gesellenstelle antreten. Im Roman schreibt dann Machandel dieses wegweisende Kochbuch, das sein Chef ihm dann aber entreißt, um sich selbst als Autor auszugeben. So in etwa hätte es historisch also tatsächlich sein können. Es gibt aber ehrlich gesagt keine Hinweise darauf. Diese Herausgeberfiktion zu Beginn war nur eine kleine Spielerei. Mich hat dann überrascht, welchen Effekt das bei einigen Lesern erzielt hat.

Machandel agiert unbeeindruckt von Ängsten und Beschränkungen

Wie nah dran am historischen Kochgeschehen sind die Beschreibungen in der Küche des Klosters Neuzelle und an den Herdfeuern von Paris?

Sie spiegeln wider, was sich in den Kulturgeschichten des Essens findet, in regionalen Kochbüchern und in historischen Kochbüchern, die seinerzeit in Frankreich geschrieben worden sind. Gespräche mit einem Koch, der generell etwas über die Praxis erzählen konnte, und mit einem Landschaftsarchitekten flossen ebenfalls in das Buch mit ein. Letzterer hat an der Restaurierung des Klostergartens in Neuzelle mitgewirkt. Bei der Spurensuche gewann man neue Erkenntnisse darüber, welche Lebensmittel den Mönchen dort früher alle zur Verfügung gestanden haben.

Ignaz Machandel entfaltet zwar grandiose Fähigkeiten und begeistert mit dem Ergebnis seiner Kochkünste. Seine Mittel sind aber alles andere als konventionell: Er selbst isst Spinnenbeine und kocht später bevorzugt mit verdorbenen Zutaten – von Gemüse bis hin zu Fleisch. Ist das ein Seitenhieb gegen allzu konservative Esser oder einer gegen Showeffekte wie Molekularküche?

■ Der Roman erzählt die Geschichte von einem Winzling, der über einen absoluten Gaumen verfügte und der auszog, der Welt das Geschenk des feinen Geschmacks zu machen: 1769 erblickt in einer Schäferhütte in der Niederlausitz ein Kind namens Ignatz Machandel das Licht einer Welt. Sobald Machandel krabbeln kann, probiert er, was ihm in die Finger kommt: Er belutscht Grauplinge, kaut Spinnenbeine und Nachtfalterflügel, leckt an Lederriemen und Eisenpfannen, schmeckt Stroh, Ruß, Rinde und Erde. So gehen sieben Jahre ins Land, sieben Jahre, in denen sich Machandel Abertausende von Aromen einprägt. Dann hört er auf zu wachsen und beginnt zu kochen. Und schon bald ist von Cottbus bis Lübben, von der Elbe bis zum Rhein die Rede von dem sonderbaren Winzling, der es wie kein anderer versteht, die erstaunlichsten Speisen zuzubereiten. Als Machandels Mutter ins Siechenhaus verbracht wird, kommt der Knabe in ein Kloster. Dort erfährt er von dem berühmten Pariser Koch Baffour, der Gesellen sucht. Machandel reist an die Seine, um dort die Aromen der Liebe, des Ruhms und des Verrats zu schmecken – und um ein Buch zu verfassen, von dem noch heute ein Exemplar in der Berliner Staatsbibliothek steht.

Weder noch. Interessant ist ja früher wie heute der Bruch innerhalb der gehobenen Gastronomie: Das Publikum neigt eher zu verstaubt bürgerlichem Habitus, während die Köche sich gerne als junge Wilde präsentieren. Machandel frisst Dreck, weil er von ganz unten kommt und der Hunger ihm keine Wahl lässt. Später praktiziert er jene fraglichen Methoden, weil er – gerade aufgrund seiner nicht bürgerlichen Herkunft – unbeeindruckt von Ängsten und Beschränkungen agiert. Damit ist Machandel also vielleicht doch noch so etwas wie ein Role Model für mehr Mut beim Kochen.

Hat das Buch Ihr eigenes Kochen und Essen beeinflusst?

Nein, ich bin nach wie vor ein durchschnittlicher Hobbykoch, der nicht sonderlich auffällt.