Der Provokateur

Peter Lenk ist ein Künstler, der zielsicher Provokationen aus dem Zeitgeschehen herausarbeitet und auch damit aneckt – egal, ob er nun der taz in Berlin einen gigantischen Penis an die Wand montiert oder auf einem Relief Politiker beim Ringelpiez mit Anfassen darstellt. Was treibt ihn an und um? Für das Kontext-Gipfelgespräch hat er einen recht idyllischen Ort ausgewählt: eine Ruine unweit seines Heimatortes, hoch über dem Bodensee gelegen

Weil der Bildhauer Peter Lenk, 64, es schätzt, sich bei der Enthüllung seiner Arbeiten unerkannt unters Publikum zu mischen und mitzudiskutieren über den unmöglichen Künstler, hat er – um dieses Inkognito zu wahren – auch zum Kontext-Gespräch Masken mitgebracht, hinter denen er symbolisch sein Gesicht verbergen wollte: mit den Lenk-Ersatzgesichtern Kirche, Staat und Kultur Fotos: Martin Storz

Interview von Sandro Mattioli und Susanne Stiefel

? Herr Lenk, Sie sind wirklich ein verkappter Romantiker!

Unsinn. Nur weil ich Ihnen grade erzählt habe, dass ich früher als Lehrer mit der Kutsche in die Schule gefahren bin? Das hab ich nur gemacht, weil Reiten zu gefährlich war. Da haben die Kollegen gesagt, ah, das Pferd ist schon da, da dauert es noch eine Stunde, bis der Peter ankommt.

Zugegeben, die Pferdekutsche passt auch. Nein, wir dachten eher an den Gipfel, den Sie zum Gespräch ausgewählt haben: hier oben auf der mittelalterlichen Ruine in Bodman mit dem Blick über die Bilderbuchlandschaft rund um den Bodensee.

Romantik hat ja mit Idylle nichts zu tun. Das ist eine ganz scharfe Angelegenheit. Nein, ich bin gerne hier oben, denn hier hat das Augenblickliche Vergangenheit. Wenn ich hier oben stehe, denke ich an Feudalismus. Und das fließt dann in meine Kunst ein. Etwa beim Relief in Ludwigshafen, wo es um den modernen Feudalismus geht. Was früher die Ritter und die Kirche waren, sind heute die Banken und die Politiker. Ich mische die Zeiten. Etwa im Revolutionsdenkmal von Schopfheim, da habe ich 1848 und 1968 zusammengebracht: Fritz Teufel schießt mit einer Teufelfigur auf Erwin Teufel.

Es ist also nicht die Ritter- und Burgfräuleinromantik, die den Skandalkünstler hier hoch treibt?

Da ist so eine kleine Kiefer an der Außenwand der Ruine, die sich hochgekämpft hat an der Mauer. Die habe ich jahrelang beobachtet, ob sie es schafft. Wegen der bin ich hier raufgekommen, weil die mich ermutigt hat weiterzumachen. Und natürlich weil ich hier runtergucken kann und mich fragen: Wo fehlt noch was?

Sieht doch fast erschreckend perfekt aus dort unten: blaues Wasser, weiße Segelboote. Was soll da fehlen?

Also, da hinter dem Berg haben wir die Imperia, die in Konstanz Frieden und Lust verkörpert.

Sie erstellen hier oben einen Katalog Ihrer Kunstwerke?

In Meersburg steht die Magische Säule mit Messner, Droste, Gaßner und Laßberg. Und auch in Überlingen habe ich die Zeiten gemixt. Da sitzt der Martin Walser auf einem Pferd, und viele fragen mich, warum der so gekauert sitzt. Der sagte einmal in einem Interview mit Franziska Augstein: „Kaure dich, bis du nicht mehr sichtbar bist.“ Die Existenz auf den kleinstmöglichen Nenner gebracht, so habe er die schlimmsten Situationen überstanden. Das wollte er natürlich nicht auf einem Denkmal verewigt wissen. Er war stinkebeleidigt und wollte es verhüllen lassen. Aber am meisten hat ihn gestört, dass ihn eine alte Nixe am Denkmal ins Wasser locken will. Und in Ludwigshafen habe ich in Erinnerung an den Großherzog Ludwig, der dem Dorf seinen Namen gegeben hat, das Triptychon „Ludwigs Erbe“ montiert mit Managern im Dagobert-Rausch.

Sie stehen also hier oben und überlegen sich, welche Orte in Ihrer Wahlheimat Sie beglücken und bestücken können mit Ihrer Kunst?

Wahlheimat gibt es nicht für mich. Ich bin in Nürnberg geboren und kam mit neun ins Internat. Wenn man so will, bin ich heimatlos, und das ist ein guter Zustand. Und ja, ich lebe hier am Bodensee in einer sehr liberalen Gesellschaft. Vielleicht liegt es an der badischen Revolution. Ich wüsste jedenfalls nicht, wo ich meine Figuren so problemlos zeigen könnte wie hier. Also in Bayern könnte ich meine Imperia nicht aufstellen. Und was in Berlin abging, als ich das Relief „Friede sei mit Dir“ am taz-Haus angebracht habe, weiß jeder. Hier ist sicher eine der liberalsten Ecken Deutschlands. Vielleicht liegt es auch an einer gewissen Trägheit. Man lässt halt mal was schleifen, nach dem Motto: „Der Lenk macht einen Scheißdreck? Jetzt trinken wir erst mal ein Viertele.“ Das aggressiv Intolerante ist hier sehr gemäßigt. Natürlich kriege ich auch hier hin und wieder Zoff.

Das wollen Sie doch auch.

Das ist doch Blödsinn. Ich möchte meine Figuren aufstellen, meine Botschaft rüberbringen. Ich mach das doch nicht, um irgendwelche alten Tanten zu ärgern oder Analphabeten, die die Imperia verächtlich als Nutte bezeichnen, dabei war sie eine hochgebildete Frau. Ich habe gar kein Interesse an diesen Leuten, ich ignoriere sie. Oder leg sie aufs Kreuz, so gut ich kann.

Geben Sie’s zu: Sie freuen sich, wenn Widerspruch kommt, Sie provozieren ihn ja auch geradezu!

Bei den Politikern schon. Es ist mir aber lieber, die machen auf Humor und ärgern sich im Stillen, als dass sie zum Anwalt wetzen. Das kann auch gefährlich sein. Wie jetzt in Konstanz, da haben wir zur Landtagswahl große Plakate aufgehängt und die Gauklerpartei gegründet. Unser Wahlspruch war: „Wer’s glaubt, wird selig.“ Auf den Plakaten habe ich den Landtagsabgeordneten Andreas Hoffmann verulkt. Der hat sich beraten lassen von einem Werbemann, und der meinte, er solle Humor zeigen. Aber man kann auch zu viel Humor zeigen, er hätte besser eine einstweilige Verfügung gemacht oder sich zumindest von dem Zeug distanziert. Er sagte aber, er fände die Plakate gut. Die eigenen Leute haben dann gesagt, wir lassen uns doch von dem nicht verarschen. Am Ende bekam er dort, wo die Plakate hingen, nur noch 20, 21 Prozent der Stimmen – statt 40 wie sonst.

Provokation ist doch Ihr Thema. Der taz haben Sie den Riesenpimmel eines Menschen an die Wand gepinnt, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann hat.

An dieser Stelle möchte ich erklären, dass ich von meinen drei Frauen sehr streng feministisch erzogen worden bin und noch werde. Vor allem, wenn meine zwei Töchter da sind und meine Frau dabei unterstützen. Und die haben mir gesagt: Warum machst du den Schwanz nicht größer? Bei der taz war es so: Die Feministinnen wollten die Botschaft nicht erkennen. Es geht ja nicht um den Chefredakteur der Bild-Zeitung, sondern um die eigentlichen Drahtzieher vieler Persönlichkeitsverletzungen in der Springerpresse. Insofern war sogar gut, dass sich auch in der taz viele nur aufregten und keiner die Vorlage aufgenommen und den Ball professionell rübergeschossen hat ins Springerhochhaus. Sonst würde das Relief nicht mehr hängen.

Hinter Ihrer Provokation steckt ein moralischer Impetus?

Damit wir uns richtig verstehen: Ich provoziere nicht, ich spiegle die Provokation. Die Bild-Zeitung provoziert, und ich bin nur der Chronist. Jacob Burckhardt hat das in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ schön beschrieben. Es gibt den Staat, der für das gesellschaftliche Zusammenleben sorgt und die Egoismen der Einzelnen bremst. Dann gibt es die Religion, die befriedigt die uralten metaphysischen Bedürfnisse. Und nicht zuletzt die Kultur, die beides in Frage stellt und sich meldet, wenn nicht übereinstimmt, was Staat und Kirche sagen und was sie tun. Und darum sind sie es, die Provokationen provozieren. Dafür stehen meine drei Masken: Staat, Kirche und Kultur.

Warum wehren Sie sich so, ein Provokateur zu sein?

Die Leute finden Künstler schick, wenn sie Tabus brechen. Dabei wollen sie nur die Provokation und nicht die Botschaft sehen. Natürlich werden Tabus gebrochen, aber nicht von mir. Wenn Sie die „Global Players“ in Ludwigshafen anschauen …

das Triptychon hinterm Rathaus, wo Angela Merkel, Edmund Stoiber, Guido Westerwelle und Gerhard Schröder nackt und vergnügt tanzen …

… da ging die Post ab, weil die sich da metaphorisch die Stange halten. Die „Global Players“ wurden kurz vor der Finanzkrise enthüllt. Roosevelt sagte einmal, eine Regierung des organisierten Kapitals ist genauso gefährlich wie eine Regierung des organisierten Verbrechens.

Sie wollen also die nackten Tatsachen darstellen?

Sehen Sie, mich hat ein Landwirt gefragt: Wie bitte soll ich das meinem achtjährigen Enkel erklären? Da sagte ich: Das ist ganz einfach. Politiker sind wie Zirkuselefanten. Die halten sich am Schwanz fest und laufen im Kreis herum. Das hat das Kind verstanden. Immer wenn es jetzt in den Zirkus geht, denkt es an unsere Politiker. Es gibt ja so wunderbare Stellen zu Nacktheit bei den Moralexperten der katholischen Kirche. Da heißt es, Bildhauer und Maler, die obszöne Bildwerke herstellen oder anfertigen oder ausstellen, sündigen schwer. Das sind Bildwerke, ich zitiere weiter, die die unehrbaren Teile nur leicht verhüllt zeigen. Unehrbare Teile, das ist doch eine entlarvende Sprache. Es gibt ja eine hochinteressante wissenschaftliche Arbeit von Bouvier über das Onanieren vor der Jungfrau Maria. Unter der Überschrift „Coitus cum statua“.

Die Moraltheologie hat es Ihnen offensichtlich angetan.

Der Kirchenkritiker Karl-Heinz Deschner hat wissenschaftliche Bücher geschrieben über so groteske Dinge wie das Ohrenschmalz der Maria oder die Vorhaut von Jesus, die man als Verlobungsringlein über den Nonnenfinger streifen konnte und so dann mit Herzjesulein verlobt war. Das sind so sexuell angeregte Perversionen, die auch das Fernsehen und das Publikum dauernd haben will.

Die Anregungen kommen also aus allem, was Ihren Widerspruch oder Ihre Spottlust reizt?

Ja, ich betrachte mich als Chronist meiner Zeit.

Als Lust-Chronist?

Ich vermittle allenfalls Lust-Graus. Das kann schon entstehen, wenn das Verhalten meiner Modelle dazu Anlass gibt. Ich arbeite jetzt im Moment an Baron von und zu Guttenberg. Und dass der ehemalige Verteidigungsminister beschissen und betrogen hat, ist nicht der Anlass für meine Satire. Sondern das Pathos, mit dem er diese Lügen und diesen Schwindel jetzt verklärt und verkitscht. Dieses Pathos interessiert mich, deswegen wird er in meinem neuen Kunstwerk auch entsprechend pathetisch dargestellt von mir.

Wann ist der neue Skandal-Lenk denn zu sehen?

Das verrate ich nicht. Aber auch hier gilt: Der Skandal bin nicht ich, ich bin nur der Bote des Skandals.

Wer provoziert, und sei es, indem er den Spiegel vorhält, hantiert mit einer gehörigen Portion Energie. Kann es da nicht leicht zum GAU kommen wie bei den Mohammed-Karikaturen in Dänemark?

Es darf keine Grenzen der Provokation geben. Satire darf alles. Und die Kirche, die war früher auch nicht so weit entfernt von den Islamisten. Es gibt einen Wochenblattartikel, da fordert der Pfarrer von Wald die Todesstrafe für Lenk. Da steht, ich gehöre im Meer versenkt, dort, wo es am tiefsten ist, mit dem Mühlstein um den Hals im Namen Jesu Christi. Und da landen wir bei diesem Buch von Umberto Eco, „Der Name der Rose“. Denn dort geht es um Humor und Glauben. Und der Abt meint, das Lachen darf nicht zum Mittelpunkt des Glaubens werden, weil es ihn dann zerstört.

Sie glauben an die subversive Kraft des Humors?

Lachen hat eine anarchische Komponente. Was passiert denn, wenn über die S-Klasse gelacht wird, die überladen ist, wenn die Oma drinhockt? Das ist doch dann kein Gegenstand zum Angeben mehr.

Ihr Motto lautet: „Ich ärgere lieber die anderen als mich selbst.“

Warum soll ich mich auch ärgern? Gucken Sie sich doch die Finanzmarktkrise an, die Staaten, die pleite sind – das ganze System wird momentan an die Wand gefahren, und damit geht auch die Demokratie kaputt. Alle sind fleißig mit dabei beim Zocken, die Banken, die Politik, die Wirtschaft. Als normaler Bürger kannst du doch gar nichts machen. Aber mit so einem Relief wie in Ludwigshafen, mit so einer Arbeit, kann ich doch was tun. Das kam genau zur richtigen Zeit und zeigt die Manager, die im großen Geldhaufen sitzen. Man lacht ja auch, wenn man anders nicht damit fertig wird.

Die baden-württembergischen Ministerpräsidenten mögen Sie ja besonders gerne. Sie haben Hans Filbinger und Günter Oettinger verewigt, und Erwin Teufel. Stefan Mappus ist auch in Arbeit. Wann geht es Winfried Kretschmann an den Kragen?

Zuerst mal muss ich korrigieren: Ich mag sie nicht so wahnsinnig, aber sie eignen sich bestens für Satire. Ich habe ja immer gesagt, der CDU-Filz hier in Baden-Württemberg muss jetzt mal weg. Und es ist das große Verdienst von Stefan Mappus, dass er das nach 58 Jahren CDU-Herrschaft geschafft hat. Deswegen bekommt er jetzt auch ein Denkmal, da arbeite ich grade dran. Und Winfried Kretschmann scheint bisher ein integrer Mann zu sein.

Hinter Provokationen stecken immer auch Träume und Sehnsüchte. Wovon träumt Peter Lenk?

Meistens dummes Zeug. Leider. Früher hatte ich auch mal erotische Träume, aber das hat abgenommen. Das Revier wird größer, die Munition knapper. Mit 64 träumt man halt den üblichen Quatsch zusammen. Ob das Konto überzogen ist oder die Hühner schon eingesperrt sind und wann der Hund zum Tierarzt muss. Ich muss gestehen: Da ist träumerisch nicht mehr so viel geboten.