Der bezahlte Protest

SCHLEICHWERBUNG Unternehmen kopieren die Aktionsformen sozialer Bewegungen und lassen ihre Werbebotschaften von bezahlten DemonstrantInnen verbreiten. Vor allem Studierende verdienen so Geld

DemonstrantInnen gelten inzwischen als glaubwürdig – und dieses Image wollen die Firmen kapern

VON NINA MARIE BUST-BARTELS

Mit Trillerpfeifen und Plakaten ausgerüstet, hat sich eine kleine Gruppe von Menschen versammelt. „Mehr Netto für alle“ steht auf den Schildern. Eine politische Demonstration – auf den ersten Blick. Der zweite Blick irritiert: Die einheitlich gelben T-Shirts der Teilnehmenden tragen das Firmenlogo des Supermarktes Netto.

Werbefachleute sprechen von Guerilla-Marketing – es geht darum, wie ein Partisanenkämpfer dort aufzutauchen, wo man nicht erwartet wird. „Wegen der Informationsüberlastung sind herkömmliche Werbestrategien immer weniger wirksam“, sagt Kerstin Weihe vom Deutschen Institut für Marktforschung. Kunden würden genervt auf Werbeplakate und Fernsehspots reagieren und die negativen Assoziationen auf die werbenden Unternehmen übertragen. Werbeagenturen setzten daher auf kreative Strategien, erklärt Weihe. Der Überraschungseffekt steigere die Aufnahmefähigkeit der Zielpersonen: „Ist das Gesehene cool genug, verbreiten die Zuschauenden die Werbebotschaft durch Weitererzählen und über soziale Plattformen ohne jeglichen weiteren Aufwand“, sagt Weihe. Auch die klassischen Medien berichten wegen des Neuigkeitswertes über solche Aktionen und vergrößern damit zwangsläufig die Werbewirkung, wie auch dieser Artikel zeigt.

Um diese Effekte zu erzielen, übernehmen Firmen die Strategien von sozialen Initiativen, politischen Organisationen und kulturellen Einrichtungen. So können Unternehmen auch die Werbekosten senken. „Meistens beschäftigen die Agenturen für die Demos Studierende, denn die sind günstig, flexibel und offen für unkonventionelle Aktionen“, sagt Guerilla-Marketing-Experte Thorsten Schulte, der Kongresse über alternative Werbeformen organisiert.

Die Unternehmen erhoffen sich von dem inszenierten Protest einen Imagegewinn. Demonstrationen gelten inzwischen offenbar als glaubwürdige und angesehene Form, Inhalte zu transportieren. Das zeigt, wie sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Demonstrationen verändert hat. Stießen sie vor einigen Jahrzehnten in der Gesellschaft eher auf Ablehnung, wird politisches Engagement heute anerkannt, vielleicht sogar bewundert.

Werbeblock beim Castor

Der Autovermieter Sixt stellte keine eigene Demonstration auf die Beine, sondern kaperte im vergangenen Jahr die Anti-Castor-Proteste in Gorleben. Mitten in der Demonstration tauchten bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf und forderten auf ihren Transparenten: „Stoppt teure Transporte – Mietet Van & Truck von Sixt“. Die Firma brach mit der Werbeaktion ein Tabu und setzte auf die große Medienpräsenz, um ihre Werbebotschaft mitten im politischen Protest zu platzieren.

Manchmal sind die Grenzen zwischen Protest und Werbung fließend. Der hessische Stromanbieter Entega initiierte im vergangenen Jahr eine Demonstration gegen die globale Erwärmung. Aus 300 Tonnen Kunstschnee entstanden Schneemänner, die Plakate gegen den Klimawandel in die Höhe hielten. Zu den Demonstrierenden gehörten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens, die aber auch weitere Menschen mobilisierten. Entega organisiert regelmäßig öffentlichkeitswirksame Aktionen, um „auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen“, sagt Jens Hoffmann, zuständig für Marketing bei Entega. Nebenbei wird auch Ökostrom des Unternehmens beworben.

Firmen machen sich immer neue Formen der Werbung im öffentlichen Raum zu eigen. Sie durchlaufen dabei eine ähnliche Entwicklung wie soziale Bewegungen. „Es geht darum, neue, für die Rezipienten unbekannte Aktionsformen zu finden. Als Steigerung der Werbedemos lassen sich nun Flashmobs beobachten“, sagt Guerilla-Marketing-Experte Thorsten Schulte. Flashmobs sind kurze, scheinbar spontane Menschenaufläufe an öffentlichen Plätzen. Die Teilnehmenden wirken wie zufällig vorbeikommende PassantInnen, die sich jedoch plötzlich ungewöhnlich verhalten. Auch solche Flashmobs ahmen inzwischen die ersten Unternehmen nach.

Aber dürfen die das überhaupt? „Die Werbedemos finden im öffentlichen Raum statt, da müssten eigentlich die Ordnungsämter informiert werden“, sagt Schulte. Doch werde oft lieber nicht gefragt, um eventuellen Auflagen zu entgehen. „Die paar hundert Euro Strafe zahlen die Firmen aus der Portokasse“, sagt Schulte.

Die Kontrolle dieser neuen Werbeformen ist in der Tat ein Problem. „Privatwirtschaftliche Unternehmen finden Möglichkeiten, ihre Werbebotschaften im öffentlichen Raum zu platzieren, für die es von der öffentlichen Hand keine Regelungen gibt“, sagt die Stadtplanerin Franziska Lehmann, die die Kommerzialisierung öffentlicher Räume erforscht.

Eine Unterscheidung zwischen politisch motiviertem und für Marketingzwecke inszeniertem Protest ist nicht verankert. „Beide Formen fallen rechtlich unter den Schutz der freien Meinungsäußerung“, sagt Lehmann. Eine Unterscheidung scheint aber notwendig, um die neue Werbeformen im öffentlichen Raum zu kontrollieren. Auch über deutlich höhere Geldstrafen könnte man die Unternehmen zum Verzicht bewegen.

Gleichzeitig ist ein Verbot oder eine Einschränkung kommerzieller Proteste schwer umsetzbar. Wenn es um dauerhaft angebrachte Plakate geht, sind die Regelungen klar. Doch der neue Werbeträger ist der Mensch. Er ist flexibel, kann agieren, und seine Nutzung des öffentlichen Raums kostet nichts. Der Mensch wird als Medium von der durch ihn gesendeten Werbebotschaft zum Mittel degradiert. Er wird instrumentalisiert und bezahlt. Gleichzeitig soll der Schein gewahrt bleiben, es handele sich um Ideale und die Teilnehmenden würden freiwillig mitmachen – das liefert die Glaubwürdigkeit. Das funktioniert zumindest so lange, bis die Inszenierung von Werbung als politischer Protest bei den VerbraucherInnen auf Ablehnung stößt und der Werbeeffekt dadurch zerstört wird.