der norden rettet die welt (IV)
: Energiepotenzial in 3D

Norddeutsche Städte nehmen den Klimaschutz selbst in die Hand. Die Rezepte sind verschieden

Klimaschützer tragen Sandalen, Wollpullis und Cordhosen. Sie kaufen beim Ökobauern direkt auf dem Wochenmarkt ein und fahren mit dem Rad zur Arbeit. Die verrichten sie häufig in der Schule, als Geschichts- oder Biolehrer. Oder als Sozialpädagoge. Dem Klischee nach ist der Klimaschützer eines jedenfalls nicht: ein vor dem PC sitzender, Fast Food verschlingender Softwareentwickler, der mit Algorithmus und Binärcode gegen den Klimawandel ankämpft. Oder doch?

In Osnabrück steuern Geoinformatiker seit 2006 ihren Teil zum Klimaschutz bei. Unter Leitung der Fachhochschule haben sie innerhalb der letzten beiden Jahre eine Software entwickelt, die in Zukunft in großem Maßstab dazu beitragen könnte, die Installation von Photovoltaikanlagen auf Hausdächern voranzutreiben: Ihr Computerprogramm berechnet, ob sich der Einsatz von Solarkollektoren auf einem Gebäude lohnt. Die Algorithmen arbeiten heraus, wie viel Sonne welches Dach zu sehen bekommt.

Flächen und Neigungswinkel lassen sich zwar auch mit Zollstock und Leiter berechnen. Darüber hinaus aber kann die Software eine ungleich höhere Masse an Daten gleichzeitig verarbeiten: Das Energiepotenzial ganzer Städte will man mit dem Programm analysieren. Die eigene haben die Informatiker bereits unter die Lupe genommen: Osnabrücks 69.000 Gebäude sind digitalisiert, die Stadt ist als 3D-Modell verfügbar. „Das wäre früher undenkbar gewesen“, sagt Detlef Gerdts, Fachbereichsleiter Umwelt der Stadt. Früher, da musste die Energieeffizienz einer Solaranlage noch vor Ort eingeschätzt werden.

Jetzt fliegt ein Flugzeug über Osnabrück und misst gleich die Qualität aller Dächer der Stadt. Ein Laser scannt über 600 Millionen Höhen-Messpunkte, drei pro Quadratmeter. Das so entstandene Höhenprofil wird dann, gemeinsam mit hochauflösenden Luftbildern von Osnabrück, in den Computer eingespeist. Kombiniert ergibt das ein digitales Stadtmodell, in dem Dächer gelb oder blau sind, je nach Sonneneinstrahlung. Form, Neigung und Ausrichtung der Dachflächen sowie den etwaigen Schattenwurf durch Bäume bezieht die Software in die Berechnungen mit ein. „Man kann sogar die Schornsteine abziehen“, sagt Gerdts.

Die Analyse-Software hat errechnet: 40.000 Gebäude in der Stadt sind gut oder sehr gut für den Einsatz von Photovoltaik geeignet. Theoretisch ließe sich auf ihren Dächern die Hälfte des Osnabrücker Strombedarfs decken. Damit jeder Einzelne schauen kann, ob sein Dach auch dabei ist, werden die Ergebnisse in den nächsten Wochen – wo sonst – im Internet veröffentlicht. Auch das hätte es „früher“ nicht gegeben.

BENJAMIN GEHRS