: Wutbürgerthesen und Aufstandsparolen
KÖLNER SCHAUSPIELHAUS Karin Beier inszeniert die Textcollage „Demokratie in Abendstunden“ sowie „Kein Licht“ von Elfriede Jelinek. Hier wird der Aufstand geprobt, dort regiert die Machbarkeit
Wir sind nicht in der Oper oder in der Philharmonie, sondern im Kölner Schauspielhaus. Durchaus ungewöhnlich also, dass die Intendantin des gerade erneut zum „Theater des Jahres“ ernannten Bühne einen Klassik-Klangkörper ins Zentrum ihrer neuesten Inszenierung stellt. Angeregt dazu hat Karin Beier Federico Fellinis Film „Die Orchesterprobe“ von 1978. Dort probt ein Klangkörper den Aufstand gegen seinen diktatorischen Dirigenten. Fellini meinte das damals als Allegorie auf die Wirrnisse des italienischen Staates, als Menetekel eines neuen Faschismus.
Karin Beier verlegt die Orchesterprobe in unsere Tage und zielt auf den neuerdings global wie lokal wiederbelebten Demokratiebegriff. Der Kampf um radikale Demokratie ist ihr Thema im ersten Teil dieser Saisoneröffnung, der frei entwickelten Collage aus Fremdtexten mit dem Titel „Demokratie in Abendstunden“. Beier stellt die Frage, was die Kunst zu dieser Wiederbelebung beisteuern könne. In Teil zwei folgt die Antwort: Elfriede Jelinek hat für Köln erneut einen Text geschrieben, die Fukushima-Paraphrase „Kein Licht“. Dort regiert die schiere Machbarkeit, genauer: was daraus resultiert, eine verstrahlte Landschaft mit Krüppeln. Auch die Kunst hat ihre Sprache verloren, sie ist stumm und taub.
Zuvor will sie sich aber noch laut behaupten. Die Musiker des Orchesters liefern sich in „Demokratie in Abendstunden“ einen immer drastischer ausagierten Kampf mit dem Dirigenten (Michael Pregeler). Die Forderung nach Beteiligung und Gemeinschaft der Einzelnen stehen der Diktatur der Kunst gegenüber. Die Regisseurin entwickelt daraus eine choreografierte Kakofonie der Wutbürgerthesen und Aufstandsparolen.
Zu wem spricht die Regie?
Wie in ihrer letzten Jelinek-Uraufführung „Das Werk. Im Bus. Ein Sturz“ arbeitet Beier dafür mit dem Komponisten Jörg Gollasch zusammen. Noch mehr als vor einem Jahr ist das eine kongeniale Kooperation. Noch konsequenter setzt Beier auf Gollaschs musikalisch-rhythmische Durcharbeitung der Szenen. Was sie auch muss, schließlich fehlt ihr im ersten Teil ein durchkomponierter dramatischer Text – und damit auch eine gewisse inhaltliche Tiefe. Wohl deshalb stellt sich einem angesichts des zwei Stunden währenden Kampftreibens – Notenblätterstürme und Farbschmierereien des hervorragenden Ensembles inklusive – irgendwann die Frage, zu wem die Regisseurin eigentlich spricht.
Warum genau befeuert sie uns von der Bühne herunter mit Revolutionsparolen aus der Feder von Autoren wie Beuys, Breton, Stephane Hessel, Oskar Negt, dem Unsichtbaren Komitee, Rainald Goetz oder Slavoj Žižek? Die Kampftiraden der Orchestermasse verselbständigen sich zusehends. Den Kulminationspunkt bildet ein virtuoses, aber situativ eben auch völlig entrücktes chorisches Finale furioso des Ensembles. Rainald Goetz lässt grüßen: „Demokratie, Kultur? – Dreck! Parlamentarismus? – Dreck! Uns trifft keine Schuld? – Dreck!“. So sehr man die politische Wut, die sich hier artikuliert, teilen mag – als Bühnenform läuft sie sich tot, wenn sie kontextfrei agiert. Der Verdacht des Wohlfeilen stellt sich ein, schließlich sitzen wir und vor allem die Regisseurin im hoch subventionierten Kunstrahmen Stadttheater.
Teil zwei hebt finster und leise an. Die Bühne von Johannes Schütz, ein riesiger betonheller Raum, ist nun in der vorderen Hälfte mit schwarzem Ölschlamm überzogen, das Orchester dezimiert und stumm. Dunkles Grollen, Geigerzählersound aus dem Off, dazwischen Stimmen: „Woher kommt die Gefahr? Sicher von außen.“ Elfriede Jelinek setzt in „Kein Licht“ ihre abgründig böse Technikkritik aus Stücken wie „Das Werk“ fort. Im Text sprechen die Stimmen einer „ersten“ und einer „zweiten Geige“ (Lina Beckmann und Julia Wieninger).
Karin Beier bevölkert die gespenstische Szene mit zusätzlichen Figuren. Sie tippeln wie Marionetten oder Automaten durch die Szene, sind blind und taub, tragen unförmige lange Nasen aus Plastik oder Stoff. Sie sind körperlich und geistig Versehrte. „Alles, was man hört“, sagt eine, „ist das Schluchzen der Menschen.“
Karin Beier inszeniert von Jelineks 40-seitiger Textfläche nur einen geringen Teil. „Kein Licht“ wirkt bei ihr wie ein dunkles, kurzes, in der Orientierungslosigkeit und clownesken Deformation der Figuren böse-komisches Nachspiel zum lauten Kampfschauplatz des ersten Teils. Doch auch Jelineks Text spricht die Sprache der Wut. Wut angesichts der Katastrophe, an der wieder einmal die anderen oder die Natur schuld sein sollen. Die Kunst ist hier machtlos. Sie verkommt zur sinnentleerten, puppenhaften Betriebsamkeit, deren kaputte Protagonisten sich nur noch höhnisch selbst kommentieren: „Das hätten wir uns nie träumen lassen, dass wir für die Kunst mal so brennen würden.“ Wie herauskommen aus dieser Hölle? Karin Beier lässt den Abend etwas unvermittelt mit einem Auszählreim enden. Schauspielerin Sachiko Hara zeigt nacheinander auf die anderen um sie herum – bis alle tot umgefallen sind. ALEXANDER HAAS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen