Zu Opfern mutiert

Nach langen Wochen der Vorberichte hatte Anne Will endlich Premiere mit ihrer Polit-Talkshow „Anne Will“. Und, wie war Miss Post-Christiansen?

VON SUSANNE LANG

Diese Arbeitswelt muss gnadenlos sein. Sie lässt ihrem Star nur eine Stunde, um die Chefs mit einem Millionenpublikum gewogen zu stimmen. Dass die es selbst der ehrgeizigsten, erfolgreichsten Joggerin nicht einfach machen würden, äußerten sie in klaren Vorgaben für die Moderatorin: „Persönlichkeit, Charme, Intelligenz, Kompetenz“.

Als wäre dies nicht genug, hat einer der Chefs, ARD-Programmdirektor Günter Nicht-gerne-Professor-genannt Struve, ein Motto für die Sendung ausgegeben, zu dem einem wirklich nichts mehr einfällt: „Zart, aber fair“ werde sie werden, in Abgrenzung zum Format des in der ARD noch zu etablierenden Formats „Hart, aber fair“ mit Frank Plasberg. Leider ist diese öffentlich-rechtliche Arbeitswelt mehr als ein schlechter Witz. Die Marktanteil-Vorgabe fällt eher unter die Kategorie „hart“ als „fair“. Der Erfolg der Vorgängerin Sabine Christiansen muss gehalten werden – trotz journalistischer Kompetenz der Moderatorin. Wofür denn sonst immer mehr Gebühren?

So viel zum Druck, der auf Anne Will gelastet haben muss, als sie am Sonntag um 21.45 Uhr zum ersten Mal ihr Talk-Format „Anne Will“ präsentierte. Thema: „Rendite statt Respekt. Wenn Arbeit ihren Wert verliert“. Zu zeitlos für ein aktuelles politisches Wochenformat, aber wohl emotional nahe liegend.

Gefühl jedenfalls scheint eine Säule von „Anne Will“ zu sein: Nähe zu den Menschen, die Medienmenschen als „normal“ bezeichnen, und, im Gegenzug, Kritik bis Empörung über die, die „normale“ Leute gerne als „die da oben“ bezeichnen – Politiker und Manager. Im beige-braun-roten Kaminstübchenstudio in Berlin Adlershof saßen also auf roten Plastikstühlchen versammelt: Kurt Beck, SPD-Kanzlerkandidatenschreck, Jürgen Rüttgers, CDU-Sozialgewissen aus NRW, René Obermann, Telekom-Chef, Margot Käßmann, protestantische Kirchenleitfrau. Ihnen gegenüber, auf weißen Sofas: eine gewisse Kerstin Weser, Call-Center-Jobberin, die kein Hartz IV will, aber doch Beihilfe benötigt. Und ein gewisser Bernd Sprenger, Arzt, Psychologe und Experte in Sachen „Burn Out“.

All diese unterschiedlichen Menschen sprachen über: Arbeit. Keine Arbeit. Zu viel Arbeit. Unsoziale Arbeitswelt. Druck in der Arbeitswelt. Lohn. Mindestlohn. Und am Ende der Sendung hatten doch alle etwas gemeinsam: Sie saßen zu Opfern mutiert verloren in einer tristen Welt.

Bei einem PR-Profi wie Beck, dessen Adrenalin-beflügeltes Pfannkuchen-Grinsen nach und nach verschwand, oder bei einem wie Rüttgers, der seinen neuen Sozial-Spin selbst noch nicht so ganz verstanden hat, mag dies eine gute Nachricht sein. Das Ende der Christiansen-Zeit ist bei beiden noch nicht angekommen. Hartnäckig warfen sie einander in alter Talk-Manier Wortunterbrechung vor.

Für Kerstin Weser jedoch hätte man sich glatt Reinhold Beckmann gewünscht, der seine Gäste beim pseudoempathischen Einfühlen wenigstens nicht allein auf dem Sofa zurücklässt und dort wie ein Häuflein Elend immer wieder im Großbild zeigt, als brauche man ein sichtbares schlechtes Gewissen. Will das wirklich jemand sehen?

Für den Anfang waren es jedenfalls gute fünf Millionen, die Wills Premiere bei aller Langatmigkeit und Trübsal durchstanden. Marktanteil gute 18 Prozent, was Herrn Struve pflichtgemäß freut. Auf dem wahren Prüfstand steht „Anne Will“ erst in den nächsten Wochen. Dann werden hoffentlich die Sofas und die Normal-Gäste verschwinden und Anne Will sich auf das konzentrieren dürfen, was sie kann: Politiker und Manager so zu befragen, dass der Mensch vor dem Fernseher etwas davon hat.