Vom Wachstum der Sonnenbrillen

Der Hamburger Kunstverein hat nach großformatiger interventionistischer Malerei gesucht – und bedrückend wenig gefunden. Dafür präsentiert er im Untergeschoss hoch politische Videos des Kroaten David Maljković über einen bizarren Monolithen

Es sieht aus wie ein Stück Hirn. Oder wie übereinandergeschachtelte Knochenmarks-Scheiben. Das alles zu einem silbrigen Turm geschichtet: So präsentiert sich das Monument des kroatischen Künstlers Vojin Bakić, das das sozialistische Jugoslawien zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs errichten ließ. Jede Schulklasse musste seinerzeit dort hin, Pflicht-Gedenkübungen absolvieren. Von 1991 bis 1995 lag das Gebäude in kroatisch besetzten Gebieten und wurde stark zerstört. Seither liegt es brach. Kaum ein Mensch verirrt sich zu dem Monolithen im historischen „Petrova Gora Memorial Park“.

Oder – doch: David Maljković, 1973 in Kroatien geborener Künstler, der derzeit im Hamburger Kunstverein ausstellt, hat sich mit der Kamera auf den Weg dorthin gemacht. Hat Laien ins Jahr 2045 versetzt und sie in der Ruine kryptische Gesänge aufführen lassen. Andere hat er mit Fußbällen auf die Zufahrtswege geschickt; irgendwann steht ein Junge mit Silberball auf dem Dach. Eine Beziehung zum Gebäude haben sie alle nicht gefunden. Fremd, ahnungslos und auf irgendetwas wartend stehen sie in Maljković’ Videos am Fuße der Ruine, die futuristisch und archaisch zugleich wirkt. Die Anlage als fiktiver Ort, dessen Bedeutung niemand je mehr erfassen wird und der doch einst so wichtig war.

Als Parabel auf eine Gesellschaft, die zwischen ungeliebter kommunistischer Vergangenheit und nebulöser Zukunft nach Identität sucht, lässt sich die „New Heritage Trilogy“ deuten – und als filmisches Monument der Hilflosigkeit. Dabei tut Maljković sogar etwas, das die meisten Künstler weit von sich weisen würden: Auf Zeichnungen, im Vorraum des Hamburger Kunstvereins zu sehen, macht er Vorschläge für die künftige Nutzung des Geländes; Rolltreppen und Hotels inklusive. Eine echte Intervention in eine öffentliche Diskussion über den ideologiefreien Umgang mit der Architektur vergangener politischer Ären.

Eine Arbeit, die sich gut einfügen würde in die Ausstellung „Gesellschaftsbilder. Zeitgenössische Malerei“, die der Verein parallel im Obergeschoss zeigt. Formen, Zeichen und deren Wirkung auf Gesellschaft untersuchen darin zehn Künstler aus verschiedenen Ländern. Die Beziehung von Gesellschaft und Malerei soll hier ausgelotet werden, doch das Konzept geht nicht auf: Ein großes Wandbild der mexikanischen Aktivistin Minerva Cuevas, die Parallelen zwischen Menschen- und Insektengesellschaft untersucht, ist da zu sehen. Die Wandmalerei von Gunter Reski, der eine fast Comic-artige Bild-Text-Mixtur zum Thema „Sonnenbrillenvergrößerung – ein Analogon zur Verschleierung?“ an die Wand warf und nicht viel zu seiner Kunst sagen kann. Einen RAF-Stern mit Zirkel drin hat Wawrzyniec Tokarski in seine Bilder hineingenommen. Auch er schweigt beharrlich.

Für sich genommen sind es interessante Ansätze – doch all diese Arbeiten vermitteln die Idee hinter der Ausstellung nicht: Die Embleme und Zeichen sind keineswegs alle selbsterklärend oder allgemein verbindlich, wie mancher Künstler unterstellt. Unklar bleibt auch, ob plakative Wandmalereien wirklich noch agitatorisch wirken oder ob das Wandbild als Genre ausgedient hat. Gibt es noch verbindliche – gemalte – Zeichen und Appelle, die das Geschrei der elektronischen Medien übertönen? Die Hamburger Schau versucht recht gewollt, solche hervorzulocken, doch das bleibt Stückwerk.

Johannes Wohnseifer hat weiter gedacht und dort hingeschaut, wo Kommunikation aktuell stattfindet: ins Internet. Bilder mit Spam-Botschaften hat er gefertigt, allerdings ohne politischen Impetus. Interessante Wortspiele, die die Veränderung der Sprache anzeigen, sind hier zu finden; ein nettes Spiel.

Klar konturiert politisch wiederum geht der Rumäne Victor Man vor: Er hängt – in einem sehr weit gefassten Malereibegriff – Jacken mit innen eingenähten rumänischen Flaggen an einen Ständer, um die Umknöpfung von Nationalismen und Identitäten zu illustrieren. Ein Thema, dessen Brisanz nahe der rumänischen Grenze endet. Und vielleicht krankt genau hieran die gesamte Schau: daran, dass sie Zeichen präsentiert, die innerhalb eines bestimmten Kontexts für begrenzte Zeit relevant sind, sich aber nicht zu einer gemeinsamen Aussage vereinen lassen. Denn zwischen rumänischem Ernst und deutschem Spiel kann es – abgesehen von der Form – keine Parallele geben.

Wobei auch die Aktion Caroline von Grones, die die U-Bahn-Station direkt vorm Kunstverein malte (taz berichtete) wohl nicht als politisch und nur sanft interventionistisch zu verstehen ist. Zwar verkehrt sie die Idee der Plein-Air-Malerei des 19. Jahrhunderts in ihr Gegenteil, indem sie sich nicht edle Menschen und Gärten, sondern einen trashi–gen U-Bahnhof zum Bildmotiv wählt. Die Perspektive der Altvorderen aber bricht sie nicht. Denn sie erfasst die Untergrund-Station in Pastellfarben. Sie malt sich ihre Welt schön. PETRA SCHELLEN

Die Ausstellung ist bis 30. 12. im Hamburger Kunstverein zu sehen.