„Wenn ich ein Gitter brauche, stimmt was nicht“

GOTT ODER WELT Das Schwierigste am Klosterleben sei nicht die Armut, sondern die Gemeinschaft. Deshalb werde scheitern, wer aus Weltflucht eintrete, sagt Katharina Schultz, die kürzlich das ewige Gelöbnis als Karmelitin abgelegt hat

■ 47, Ordensname: Schwester Katharina vom Heiligen Geist, stammt aus Buxtehude. Bis ins Jahr 2003 hat sie als Einzelhandelskauffrau in einem Naturkostladen gearbeitet. Von 2003 bis 2005 studierte sie evangelische Theologie am Missionsseminar Hermannsburg, zwischen 2005 und 2007 lebte sie in einem Benediktinerinnenkloster. 2008 trat sie in den Karmelitinnen-Orden in Hamburg-Finkenwerder ein und hat im Herbst 2014 die „ewige Profess“ abgelegt.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Schultz, war es immer Ihr Traumberuf, Nonne zu werden?

Katharina Schultz: Nein. Das Bedürfnis, mein Leben zu ändern, wurde erst mit Mitte 30 konkret. Latent habe ich mich allerdings schon als Kind für alles interessiert, was die katholische Kirche betraf. Dabei bin ich evangelisch aufgewachsen.

Gelernt haben Sie Verkäuferin.

Ja, ich war Einzelhandelskauffrau und habe lange in einem Bioladen gearbeitet. Ich war dort sehr zufrieden, habe nebenbei getanzt – alles von Klassik über Jazz bis zum Flamenco.

Und wollten dann plötzlich Nonne werden.

Das kam nicht plötzlich, sondern war ein Gefühl immer mal zwischendurch. Ich habe das lange nicht ernst genommen. Aber irgendwann saß ich im Wohnzimmer und dachte: Ich habe alles – aber irgendetwas fehlt. An dem Punkt begann meine Suche.

In welcher Form?

Ich wollte etwas in der Kirche machen, habe angefangen, Gottesdienste zu besuchen und ehrenamtlich mitzuarbeiten – etwa in der Sakristei und bei Festen.

Praktische Tätigkeiten.

Ja, und irgendwann dachte ich: Vielleicht könnte ich auf dem zweiten Bildungsweg Theologie studieren. Nach einem Vorkurs habe ich ein Studium am evangelischen Missionsseminar Hermannsburg bei Celle begonnen, und es lief gut. Irgendwann saß ich wieder in der Stille und dachte: Ich möchte jetzt mal in die katholische Kirche schauen.

Warum?

Eines Abends räumte ich mit einer Kommilitonin nach dem Abendmahl die Sakristei auf. Den übrig gebliebenen Wein entsorgten wir, die Hostien legten wir zurück in den Vorrat. Da sagte meine Kommilitonin: Wir können das so machen, wir sind Gottseidank nicht katholisch. Da dachte ich: Das möchte ich jetzt genauer wissen.

Und?

Ein paar Tage später habe ich in meiner ersten katholische Messe gesehen: Der Priester trank den ganzen Wein, der ja „Blut Christi“ geworden war, aus. Die restlichen Hostien legte er sorgsam in ein Schränkchen. Ich dachte: So muss man mit diesen Dingen umgehen. Die kann man nicht einfach entsorgen! Ich bin dann in größter kindlicher Naivität zum Priester gegangen und habe gesagt: „Ich möchte katholisch werden. Wie geht das?“

Nämlich wie?

Man muss eine Konversionszeit absolvieren, während derer man in die andere Konfession eingeführt wird. Ich bin mitgegangen zu Trauungen, Firmungen, Erstkommunion, habe alle liturgischen Feste kennengelernt.

Aber diese vielen Heiligen – war das Ihnen als Ex-Protestantin nicht zu viel?

Im Gegenteil. Ich wollte mehr davon, und in mir reifte der Gedanke, ein Ordensleben zu versuchen. Das Studium habe ich dann abgebrochen und ehrenamtlich einige Jahre in meiner Heimatgemeinde gearbeitet.

Wovon lebten Sie?

Ich war arbeitslos gemeldet. Die Agentur für Arbeit hat diese Zeit als Überbrückung vor einem Klostereintritt anerkannt.

Aber welchen Orden nimmt man da?

Nach einigen Internet-Recherchen habe ich mich zunächst den Benediktinerinnen angeschlossen. Aber dort herrscht das Motto „Ora et labora“, „Bete und arbeite“. Das war eine ständige Zerreißprobe zwischen Arbeit und Gebet. Damit mögen viele glücklich sein. Ich war es nicht.

Was fehlte?

Stille. Raum fürs Gebet. Ich bin also dort weggegangen. Irgendwann las ich das Buch „Du, Gott“ des Karmeliter-Paters Reinhard Körner. Er nannte Gott einen Freund und beschrieb, dass die Karmeliter-Orden täglich zwei Stunden inneres Gebet praktizieren. Als ich erfuhr, dass es in Finkenwerder Karmelitinnen gibt, habe ich dort probeweise Ostern verbracht und bin dann geblieben.

Was ist inneres Beten?

Eine Art inneres Gespräch – wie mit einem Freund, mit dem ich gern und oft zusammenkomme.

Eine meditative Technik, die erlernt werden muss.

Es ist schon eine Einübung, weil sofort Alltagsgedanken, Pläne, Sorgen auftauchen, wenn ich mich zum Gebet hinsetze. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, die Gedanken ziehen zu lassen.

Manche verstehen ein Gespräch mit Gott als Telefonat. Woran merken Sie, ob er rangegangen ist?

Er ist immer da. Nur ich bin manchmal nicht da.

Wie würden Sie den Dialog mit Gott beschreiben?

Es ist ein Sichausrichten auf eine bestimmte „Frequenz“. Gelegentlich spüre ich dann eine Präsenz. Und manchmal wird mir während des Gebets etwas klar, über das ich lange gegrübelt habe. Diese Momente könnte man Gotteserfahrung nennen. Das läuft aber übers Herz, nicht über den Verstand.

Für viele bedeutet Beten: Gott um etwas bitten. Ist das egozentrisch gedacht?

Dieses konkrete Bitten praktizieren wir tatsächlich nicht. Es ist eher ein Fürbitten. Wir beten zum Beispiel allgemein für die Menschen in der Ukraine, die durch diesen Krieg leiden.

Und wieso helfen manche Gebete und andere nicht?

Ein Gebet hilft eigentlich immer. Wir sagen oft, Gott hat nichts getan, übersehen aber kleine Dinge. Gott ist ja keine Wunscherfüllungsmaschine. Selbst wenn wir Karmelitinnen für einen Kranken beten, sagen wir nicht: Gott, mach, dass er wieder gesund wird. Sondern: Sei ihm nahe. Das kann auch heißen, dass der Mensch Ja zum Tod sagen kann.

Und wie lebt es sich im Orden?

So eine Lebensgemeinschaft ist immer schwierig. Unsere älteste Mitschwester ist 90, die jüngste Interessentin 43. Auch sonst sind wir so verschieden, dass immer eine Schwierigkeit auftaucht. Wir waren lange zu viert. Seit Kurzem sind wir neun, weil aus unserem Gründungskloster Hainburg bei Frankfurt Schwestern dazukamen. Da sind Reibungen ganz natürlich.

Was tut die Gruppe bei Streit?

Wir versuchen, die Konfliktparteien ins Gespräch zu bringen. Wir besprechen: Warum hat es zwischen uns nicht funktioniert? Dann suchen wir nach Lösungen und Versöhnung.

Führen Sie Nonnen in der Weltferne nicht letztlich ein egoistisches Leben?

Nein. Wir sind in die Welt eingebunden. Unser Schwerpunkt ist das Gebet, in das wir das aktuelle Weltgeschehen einschließen. Als Klausur-Orden bemühen wir uns zudem, die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und Menschen, die eine Leere spüren und Stille suchen, Raum zu bieten.

Was tun Sie konkret?

Unsere Gebetszeiten sind offen, und wir stehen für Gespräche zur Verfügung. Außerdem gibt es Gästezimmer hier auf dem Gelände. All das entspricht unserem Verständnis von modernem Karmel. Man muss ja bedenken: Noch vor 40 Jahren war das ein reiner Klausur-Orden. Da hätten auch wir nicht so zwanglos hier sitzen können: im Sprechzimmer war ein Gitter mit Vorhang, die Schwester trug einen Gesichtsschleier. Diese Regel war im Mittelalter sinnvoll, um die Frauen zu schützen. Heute müssen wir uns öffnen.

Und wo bleibt dann Ihr Markenzeichen, das innere Gebet?

Das muss verinnerlicht sein. Wenn ich ein Gitter brauche, um mein ruhiges Gebet zu finden, stimmt etwas nicht mit meinem Gebetsleben. Wenn ich eine echte Beziehung zu Gott habe, funktioniert die auch im Bus. Aber auch dort bleibe ich offen, wenn man mich anspricht.

Wie frei von Zwängen leben Sie? Besuchen Sie Freunde außerhalb des Klosters?

Nein, meine Freundschaften pflege ich brieflich. Aber das ist etwas, das ich freiwillig loslasse. Wenn ich ins Kloster gehe, weiß ich, dass ich nicht mehr mit Freunden Kaffee trinken gehen kann. Dass mir Gott wichtiger ist.

Was hat Gott gegen Freunde?

Nichts. Er lässt mir freie Hand. Ich hätte auch sagen können: Das ist nichts für mich. Diese Unterordnung unter die Ordensregeln muss freiwillig sein. Wenn ich denke „Ich darf nicht“, dann stimmt etwas nicht.

Fühlen Sie sich immer frei?

Ja, und in Krisensituationen prüfe ich es immer wieder und denke: Kann ich mir vorstellen, wieder im Bioladen zu arbeiten? Wenn ich das bejahen kann, weiß ich: Ich bin freiwillig hier.

Und nicht aus Weltflucht.

Genau das ist es. Viele wollen ja einem Bereich entfliehen, in dem sie Probleme haben. Aber diese Menschen haben im Orden manchmal noch mehr Probleme: Da werden sie erst recht mit sich selbst konfrontiert. In der Enge, in der wir zum Beispiel hier in Finkenwerder leben, kann es noch viel kritischer werden.

Sind Sie selbst durch das viele Beten kompromissfähiger geworden?

Ja. Ich habe mehr Verständnis für mein Gegenüber und versuche nicht sofort dichtzumachen, sondern zu schauen: Wo habe ich den Konflikt mit ausgelöst? Das Erkennen der eigenen Schwächen wird intensiver durch das Leben im Orden.

Gibt es eine störende Eigenschaft, die Sie durch das Ordensleben abgelegt haben?

Ganz abgelegt sicher nicht, aber da ist schon ein Eigensinn nach dem Motto: Meine Meinung ist richtig, und die möchte ich mit Kraft durchdrücken. An dieser Unnachgiebigkeit habe ich schon viel gearbeitet, aber das dauert ein Leben lang.