Gift ohne Genehmigung

EXPLOSION Die zerstörte Chemiefabrik in Ritterhude wurde nur mangelhaft kontrolliert. Landtagsopposition sucht Schuld in der Staatskanzlei

Das im September in die Luft geflogene Chemiewerk in Ritterhude ist mindestens neun Jahre lang ohne Genehmigung betrieben worden. Das ist das Ergebnis einer von Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) angeordneten Untersuchung. Illegalerweise wurde demnach mitten in einem Wohngebiet Giftmüll verbrannt. Genehmigt war aber nur eine Destillation des flüssig angelieferten Sondermülls – mit anschließender Verbrennung.

In dem Entsorgungsbetrieb „Organo Fluid“ war es in der Nacht des 9. September zu einer verheerenden Explosion gekommen. Rund 40 Wohnhäuser wurden stark beschädigt und sind zum Teil bis heute unbewohnbar. Ein Mitarbeiter starb. Hätte sich die Katastrophe am Tag ereignet, hätte es wohl weitaus mehr Todesopfer gegeben.

Untersucht wird jetzt, warum das zuständige Gewerbeaufsichtsamt Cuxhaven von den Umbauten nichts mitbekommen hat. Schließlich protestierte eine Bürgerinitiative seit Jahren gegen die Verbrennung der hochgiftigen Chemieabfälle.

Die „Einleitung eines Disziplinarverfahrens“ sei in Prüfung, sagte nun Minister Wenzel. Außerdem sollen die mehr als 1.000 in Niedersachsen mit Gefahrstoffen hantierenden Betriebe auf illegale Umbauten überprüft werden. Dies aber werde „Jahre dauern“, sagte ein Sprecher des Ministers. Unabhängig davon ermittelt auch die Staatsanwaltschaft gegen Firmenchef Wolfgang Koczott sowie gegen Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht – wegen fahrlässiger Tötung.

Die Opposition im niedersächsischen Landtag sieht dagegen den ehemaligen Landrat und jetzigen Staatskanzleichef Jörg Mielke (SPD) in der Verantwortung: Der von ihm bis 2013 geleitete Landkreis Osterholz habe schließlich „als zuständige Baugenehmigungsbehörde eine zentrale Rolle bei der erstaunlichen Expansion der Firma“ gespielt, kritisiert der umweltpolitische Sprecher der Christdemokraten, Martin Bäumer.

Mielke hatte schon im September angedeutet, dass er Geschenke von Firmenchef Koczott an Behördenmitarbeiter weitergereicht hat. Besonders zur Weihnachtszeit betrieb der Unternehmer eifrig Landschaftspflege, verschenkte Champagner oder Cognac – und möglicherweise auch Bares: Firmenintern sprach Koczott schon mal von „Entschädigungs- und Beruhigungsgeldern“.  WYP